Leitsatz (amtlich)

Nach willentlicher Herausgabe einer Urteilsfassung aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts durch Übersendung an den Verteidiger, die sämtliche Elemente eines abgekürzten Urteils in Bußgeldsachen enthält, darf diese Urteilsfassung indes nicht mehr geändert werden, wenn nicht die Voraussetzungen des § 77b Abs. 2 OWiG vorliegen.

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Arnsberg zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Arnsberg verurteilte die von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundene und in der Hauptverhandlung nicht durch ihren schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertretene Betroffene am 19. Oktober 2012 wegen Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes in zwei Fällen zu einer Geldbuße von 280,00 € und verhängte ferner unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2a StVG ein einmonatiges Fahrverbot.

Noch am 19. Oktober 2012 hat die zuständige Richterin die förmliche Zustellung einer Ausfertigung des im Hauptverhandlungsprotokoll enthaltenen, nicht mit Gründen versehenen Urteils mit Rechtsmittelbelehrung an den Verteidiger nebst formloser Übersendung an die Betroffene sowie die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft Arnsberg "gemäß § 46 Absatz 1 OWiG, § 41 StPO" verfügt, die jeweils ausgeführt wurden. Dem Verteidiger wurde das nicht mit Gründen versehene Urteil am 24. Oktober 2012 zugestellt, bei der Staatsanwaltschaft Arnsberg gingen die Akten am 25, Oktober 2012 ein.

Nachdem die Betroffene unter dem 24. Oktober 2012 durch Schreiben ihres Verteidigers vom selben Tage Rechtsbeschwerde unter Erhebung der allgemeinen Sachrüge eingelegt hatte, gelangte am 08. November 2012 ein mit Gründen versehenes Urteil zu den Akten, welches dem Verteidiger am 12. Dezember 2012 zugestellt wurde. Am 21. Dezember 2012 ging zudem eine ergänzende Begründung des Rechtsmittels beim Amtsgericht ein.

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde rügt die Betroffenen mit näheren Ausführungen die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 08. Februar 2013 Stellung genommen und beantragt,

wie beschlossen .

II.

Das Rechtsmittel der Betroffenen hat (vorläufig) Erfolg.

Die Verfahrensrügen bedürfen keiner Erörterung, weil bereits die Rüge der Verletzung materiellen Rechts durchgreift. Das Urteil ist auf die Sachrüge aufzuheben (vgl. dazu: KG Berlin, Beschluss vom 08. September 2004 zu 3 Ws (B) 382/04, zitiert nach [...] Rn. 7).

Das angefochtene Urteil enthält entgegen §§ 46 Abs. 1, 71 OWiG, § 267 StPO keine für den Senat als Rechtsbeschwerdegericht beachtlichen Gründe. Die am 08. November 2012 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe sind unbeachtlich, da zu diesem Zeitpunkt bereits eine nicht mehr abänderbare Urteilsfassung ohne Gründe vorlag (vgl. dazu: Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 267 Rdnr. 39).

a)

Ob sich dies bereits aus der Übersendung der Akten "gemäß § 46 Absatz 1 OWiG, § 41 StPO" an die Staatsanwaltschaft ergibt, wofür vorliegend Einiges spricht, ist nicht entscheidungserheblich und wird vom Senat ausdrücklich offengelassen. Indes weist der Senat diesbezüglich ergänzend auf Folgendes hin:

Soweit der Senat kürzlich entschieden hat (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Januar 2013 zu III-5 RBs 181/12, veröffentlicht bei [...]), dass die Übersendung der das alle Urteilsbestandteile aufweisende, im Hauptverhandlungsprotokoll enthaltene Urteil an die Staatsanwaltschaft trotz der eindeutig erscheinenden Formulierung ,gemäß § 46 Absatz 1 OWiG, § 41 StPO" nicht als (förmliche) Zustellung anzusehen ist, gründet sich diese Auslegung darauf, dass aus der im dortigen Fall gleichzeitig mit der "Zustellungsverfügung" an die Staatsanwaltschaft erfolgten "Bitte um Mitteilung, ob auf Rechtsmittel und Urteilsbegründung verzichtet wird", nach Ansicht des Senats demgegenüber unzweifelhaft ersichtlich ist, dass die Rechtsfolge der Unabänderlichkeit des Urteils mit Übersendung der Akten nach dem eindeutigen Willen der erkennenden Richterin gerade nicht eintreten, sondern die gleichfalls im Hauptverhandlungstermin nicht anwesend gewesene Staatsanwaltschaft über das Terminsergebnis informiert werden sollte und die Richterin daher zum Zeitpunkt der Aktenübersendung als sicher davon ausging, dass nach dem damaligen Sachstand ein gesetzlicher Grund zum Absehen von Urteilsgründen gemäß § 77 b OWiG gerade noch nicht gegeben war. Ob sich dieses Auslegungsergebnis vorliegend unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Richterin der Übersendungsverfügung vom 19. Oktober 2012 einen handschriftlichen Vermerk mit Erläuterungen beigefügt hat, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offen bleiben.

b) Denn aufgrund der richterlichen Übersendungsverfügung vom 19. Oktober 2012, die den misslichen Vorgaben des verwendeten judica-Formulars geschuldet sein...

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