Leitsatz (amtlich)

Der von einem Gericht erlassene europäische Zahlungsbefehl ist eine gerichtliche Entscheidung und keine öffentliche Urkunde im Sinne der EuKoPfVO. Über den auf der Grundlage eines solchen Zahlungsbefehls gestellten Antrag auf vorläufige Kontopfändung hat gemäß § 946 Abs. 1 ZPO das Gericht der Hauptsache zu entscheiden.

 

Normenkette

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, §§ 281, 946; EUVO 655/2014 (EuKoPflVO) Art. 4

 

Verfahrensgang

LG C.

 

Tenor

Zuständig ist das LG C.

 

Gründe

I. Die Gläubigerin hat beim LG C einen Antrag auf einen "Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontopfändung gemäß der EU/VO Nr. 655/2014" gestellt. Sie hat die Kopie der vollstreckbaren Ausfertigung eines vom AG X am 25.08.2015 erlassenen Europäischen Zahlungsbefehls gegen die in Polen geschäftsansässige Schuldnerin über 18.390,75 EUR nebst Nebenforderungen vorgelegt. Für die Hauptforderung sei C als Gerichtsstand vereinbart. Insoweit verweist sie auf eine ebenfalls in Kopie vorgelegte "verbindliche Fax-Bestellung eines gebrauchten Pkw" vom 27.03.2015.

Mit Verfügung vom 14.03.2017 hat das LG C unter Benennung von § 946 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass das LG C unzuständig sein dürfte, da das "AG Berlin" den Europäischen Zahlungsbefehl erlassen habe. Daraufhin hat die Gläubigerin Verweisung an das AG X beantragt. Mit Beschluss vom 23.03.2017 hat sich das LG C ohne jeglichen Begründungsansatz für örtlich und sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das AG X verwiesen.

Mit Beschluss vom 03.04.2017 hat sich das AG X ebenfalls für sachlich und örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Senat gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Das LG C sei gem. § 946 Abs. 1 ZPO zuständig. Die Verweisung durch das LG C sei nicht bindend, da ihr jegliche Rechtsgrundlage und jeder Begründungsansatz fehle. Auch sei eine Zuständigkeit des AG X für die vorläufige Kontopfändung nicht zu erkennen.

II. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Verschiedene ordentliche Gerichte, das LG C und das AG X, haben sich jeweils für unzuständig erklärt. Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung berufen, da das im Verhältnis zu beiden Gerichten nächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist und das im hiesigen befindliche LG C als erstes mit der Sache befasst war. Der Schuldnerin war gem. Art. 11 der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 (im Folgenden: EuKoPfVO) keine Gelegenheit zur Äußerung zum Antrag zu geben.

Für die Entscheidung des Antrags auf vorläufige Kontopfändung ist das LG C zuständig.

Dies ergibt sich aus § 946 Abs. 1 ZPO. Hiernach ist für den Erlass des Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist ausweislich des Vortrags der Gläubigerin zu der Gerichtsstandsbestimmung das LG C. Umstände, die im vorliegenden Fall eine Ausnahme von diesem Grundsatz begründen könnten, sind nicht zu erkennen. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 946 Abs. 2 ZPO nicht vor. Der vorliegende Europäische Zahlungsbefehl stellt keine "öffentliche Urkunde (Artikel 4 Nr. 10 der Verordnung (EU) Nr. 655/2014)" dar. Wie das AG X zutreffend darlegt, differenziert die EuKoPfVO in ihrem Art. 4 zwischen einer

  • gerichtlichen Entscheidung

(Nr. 8: jede von einem Gericht eines Mitgliedsstaates erlassene Entscheidung ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten) und einer

  • öffentlichen Urkunde

(Nr. 10: ein Schriftstück, das in einem Mitgliedsstaat als öffentliche Urkunde förmlich errichtet oder eingetragen worden ist und dessen Beweiskraft a) sich auf die Unterschrift und den Inhalt der Urkunde bezieht und b) durch eine Behörde oder eine andere hierzu ermächtigte Stelle festgestellt worden ist).

Nach dieser Definition ist der vom AG X erlassene Europäische Zahlungsbefehl eine gerichtliche Entscheidung. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die EuKoPfVO in der gerichtlichen Entscheidung einen Unterfall der öffentlichen Urkunde sehen möchte. Ebenso wenig besteht ein Anhaltspunkt dafür, dass § 946 Abs. 2 ZPO immer dann greifen soll, wenn dem Anträgen auf vorläufige Kontopfändung als Vollstreckungstitel eine gerichtliche Entscheidung zugrunde liegt.

Ein Fall, in dem wie vorliegend ein vom Gericht geschaffener Titel vorliegt, fällt gem. § 946 Abs. 1 ZPO in die Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache (vgl. Musielak/Lackmann, 14. Aufl. 2017, Einführung vor §§ 946 ff. ZPO Rn. 15).

Eine Zuständigkeit des AG X folgt auch nicht aus dem Verweisungsbeschluss des LG C, da dieser nicht bindend gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO ist. Die Bindungswirkung wird zwar nicht schon durch die bloße Unrichtigkeit der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage infolge eines einfachen Rechtsirrtums des verweisenden Gerichts in Frage gestellt, wie etwa beim Übersehen eines besonderen Gerichtsstands, der sich nicht aufdrängte und von den Parteien nicht thematisiert wurde. Unbeachtlich ist ein solcher Beschluss aber, wenn er schwere offensichtlic...

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