Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe wegen erneuter Straffälligkeit des Verurteilten muss sich an der Erwartung ausrichten, die der Strafaussetzung zugrunde lag.
Die Begehung von Straftaten, welche weder Gewaltdelikte noch sonst schwerwiegende Straftaten ähnlichen Charakters darstellen, rechtfertigt einen Widerruf daher grundsätzlich nicht.
Das gilt jedenfalls dann, wenn sich die Strafaussetzung auf die Erwartung stützt, der Verurteilte werde künftig keine Gewalttaten begehen und diese Erwartung durch die Nachverurteilung nicht in Frage gestellt wird.
Tenor
Dem Verurteilten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde gewährt.
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts B - Strafvollstreckungskammer - vom 19. September 2011 aufgehoben.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft T3 vom 21.07.2011, die dem Verurteilten durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B vom 21.11.2007 bewilligte Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts T3 vom 15.02.1985 zu widerrufen, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren entstandenen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
Der Verurteilte wurde mit Urteil des Landgerichts T3 vom 15.02.1985 wegen Totschlags in besonders schwerem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlichem schweren Raub und mit fahrlässiger Körperverletzung sowie wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Verbüßung von 15 Jahren dieser Strafe wurde der Verurteilte durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts T2 vom 11.03.1999 unter Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung entlassen. Die Bewährungszeit setzte sie auf 5 Jahre fest.
Nachdem der Verurteilte durch das Amtsgericht M mit rechtskräftigem Urteil vom 03.04.2002 wegen gemeinschaftlichen Einschleusens von Ausländern in zwei sachlich zusammentreffenden Fällen, jeweils rechtlich zusammentreffend mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt wurde, widerrief die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts U mit Beschluss vom 28.10.2002 die Strafaussetzung. Diesen Widerrufsbeschluss hob das Oberlandesgericht N2 mit Beschluss vom 21.02.2002 auf und verlängerte die Bewährungszeit auf insgesamt 6 Jahre und 6 Monate.
Nach Vollverbüßung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts M wurde dem Verurteilten ein Bewährungshelfer bestellt. Mit Beschluss des Landgerichts N vom 19.01.2005 wurde die Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts T3 erneut widerrufen. Zur Begründung führte das Landgericht aus, der Verurteilte halte keinen regelmäßigen Kontakt zu seiner Bewährungshelferin, sei untergetaucht und unbekannten Aufenthalts.
Nachdem der Verurteilte schließlich aufgrund europäischen Vollstreckungshaftbefehls im Juni 2005 in Ungarn festgenommen worden war, wurde er durch Urteil des Landgerichts Q2 wegen versuchten und vollendeten Betrugs, schweren Betrugs, gewerbsmäßigen Betrugs, Diebstahls, schweren Diebstahls, Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen, gewerbsmäßigen Diebstahls und Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt und zunächst dem österreichischen Strafvollzug unterstellt. Nach Teilverbüßung der Strafe wurde er einvernehmlich über mehrere Justizvollzugsanstalten schließlich am 13.12.2006 der JVA X zugeführt.
Im Jahr 2007 legte der Verurteilte gegen den Beschluss des Landgerichts N vom 19.01.2005 sofortige Beschwerde ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diese Anträge verwarf das Oberlandesgericht N2 mit Beschluss vom 11.06.2007 als unzulässig.
Ein zuvor im Jahr 2005 gestelltes erneutes Reststrafengesuch blieb vor dem Landgericht N und in der Beschwerdeinstanz vor dem Oberlandesgericht N2 erfolglos.
Mit Beschluss vom 21.11.2007 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B -sachverständig beraten- die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts T3 vom 15.02.1985 erneut zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit setzte sie auf 5 Jahre fest und bestellte dem Verurteilten einen Bewährungshelfer.
Auch in der Folgezeit wurde der Verurteilte erneut straffällig. Mit Urteil des Amtsgerichts I vom 30.09.2009, rechtskräftig seit dem 20.11.2009, wurde der Verurteilte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Tatzeit: 10.03.2009) zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Aufgrund dieser Verurteilung verlängerte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B die Bewährungszeit mit Beschluss vom 16.03.2010 um ein Jahr auf insgesamt 6 Jahre.
Mit weiterem Urteil des Amtsgerichts ...