Leitsatz (amtlich)
Ist der Betroffene gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden, kann, wenn er in einem Fortsetzungstermin nicht erscheint, sein Einspruch nicht verworfen werden. Es muss dann nach § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG verfahren werden.
Verfahrensgang
AG Lüdenscheid (Entscheidung vom 10.06.2005) |
Tenor
1.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
2.
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Lüdenscheid zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Märkische Kreis hat mit Bußgeldbescheid vom 3. Januar 2005 gegen den Betroffenen ein Bußgeld in Höhe von 120,00 Euro wegen verbotswidrigen Überholens festgesetzt. Dagegen hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 12. Januar 2005 Einspruch eingelegt. Das Amtsgericht Lüdenscheid hat ihn antragsgemäß von der Verpflichtung, im Hauptverhandlungstermin persönlich zu erscheinen, entbunden. Die zunächst für den 20. Mai 2005 anberaumte Hauptverhandlung wurde unterbrochen und am 10. Juni 2005 fortgesetzt. Nachdem zu diesem Fortsetzungstermin weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren, verwarf das Amtsgericht Lüdenscheid den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG.
Gegen dieses Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 10. Juni 2005 hat der Betroffene beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.
II.
Der Senat lässt die - zulässige - Rechtsbeschwerde zu, da es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, § 80 Abs. 1 Satz 1 OWiG.
Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wird die Rechtsbeschwerde zugelassen, wenn sonst schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen würden. Entscheidend ist insoweit, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat (vgl. BGHSt 24, 15,22). Bei einer Fehlentscheidung, die sich nur im Einzelfall auswirkt, ist die Einheitlichkeit der Rechtssprechung zwar selbst bei offensichtlichen Rechtsfehlern in der Regel noch nicht gefährdet. Soweit allerdings hinzu kommt, dass die Fehlentscheidung in einer grundsätzlichen Frage getroffen worden ist, sie schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsanwendung auslösen würde oder ohne eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts mit weiteren Fehlentscheidungen in gleich gelagerten Fällen zu rechnen ist, muss zur Vermeidung der Wiederholungsgefahr eine Korrektur über die Rechtsbeschwerde erfolgen (vgl. Göhler, OWiG, 14. Auflage, § 80 Rdnrn. 4 ff.).
Bei Fehlern des Verfahrensrechts wird die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nach unterschiedlichen Kriterien beurteilt. Nach Göhler (vgl. Göhler, a.a.O., § 80 Rdnr. 7) soll hier der Rang der Norm, die fehlerhaft angewendet worden ist, entscheidend sein, und damit auch die Schwere des Fehlers. Die Unterschiede in der Rechtsprechung zu anderen Fällen träten dann stärker hervor als bei weniger gewichtigen Normen (abweichend hiervon KK-Senge, OWiG, 3. Auflage, § 80 Rdnr. 26, wonach Verfahrensfehler rein formaler Art, deren Verletzung aber keinen Eingriff in die schutzbedürftigen Rechte des Betroffenen darstellen, ein Bedürfnis nach Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht auszulösen vermögen).
Vorliegend liegt die Verletzung eines "elementaren" Verfahrensgrundsatzes vor, so dass die Rechtsbeschwerde zuzulassen war.
Der Betroffene beanstandet mit der im erforderlichen Umfang ausgeführten Verfahrensrüge zu Recht, dass das Amtsgericht Lüdenscheid seinen Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG mit der Begründung verworfen hat, er sei in dem Hauptverhandlungstermin nicht erschienen und auch sein Verteidiger sei trotz ordnungsgemäßer Ladung fern geblieben.
Diese Entscheidung des Amtsgerichts ist fehlerhaft. Die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Einspruchs haben nicht vorgelegen. Nach § 74 Abs. 2 OWiG muss das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil (nur) dann verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war. Vorliegend ist der Betroffene aber durch die Verfügung des Amtsgerichts vom 29. April 2005 gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden. Damit hätte das Amtsgericht in dem Fortsetzungstermin - so wie es das auch bereits zuvor in der Hauptverhandlung am 20. Mai 2005 getan hat - nach § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG verfahren müssen. Dass auch der Verteidiger des Betroffenen, der ordnungsgemäß geladen war, zum Fortsetzungstermin gleichfalls nicht erschienen ist, ist unerheblich. § 73 Abs. 3 OWiG verpflichtet den Betroffenen nicht, sich durch einen bevollmächtigten Verteidiger vertreten zu lassen. Zudem ist der (bevollmächtigte) ...