Leitsatz (amtlich)
1.
Ein Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung kann noch zu Beginn der Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache gestellt werden, sofern noch nicht zur Sache selbst verhandelt worden ist.
2.
Der Einspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist verletzt, wenn das Gericht über den Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen nicht oder ohne eine auf § 73 Abs. 2 OWiG zurückführbare Begründung ablehnend entscheidet und sich im Urteil mit den Gründen, die hierfür geltend gemacht wurden, nicht befasst.
3.
Zur Frage der Anforderung an eine Verfahrensrüge wegen Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG.
Verfahrensgang
AG Recklinghausen (Entscheidung vom 22.02.2006; Aktenzeichen 35 OWi 550 Js 113/05 (68/05)) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Recklinghausen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Landrat des Kreises Recklinghausen hat gegen den Betroffenen wegen einer am 26. Oktober 2004 in Recklinghausen auf der BAB A 43 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung am 30. November 2004 einen Bußgeldbescheid erlassen und eine Geldbuße von 75 EUR festgesetzt. Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Betroffene, vertreten durch seinen Verteidiger, Einspruch eingelegt. Die Vollmacht des Verteidigers vom 22. November 2004 berechtigt diesen ausdrücklich zur Vertretung "auch nach §§ 233 I, 234 StPO". Das Amtsgericht setzte einen Hauptverhandlungstermin auf den 4. Mai 2005 an. Mit Schriftsatz vom 3. Mai 2005 beantragte der Betroffene von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden zu werden. In dem Schriftsatz heißt es: ".... räumt Herr X. ein, das Fahrzeug zum Vollfasszeitpunkt gefahren zu haben. Herr X. bestreitet eine ordnungsgemäße Ermittlung der ihm zur Last gelegten Geschwindigkeitsüberschreitung". Zudem wurden Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen gemacht. Der Antrag schließt mit: "Weitere Erklärungen kann und wird Herr X. in der Hauptverhandlung nicht abgeben.". In der Hauptverhandlung vom 4. Mai 2005 ist der Betroffene von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden. Die Hauptverhandlung wurde sodann ausgesetzt und neuer Hauptverhandlungstermin auf den 18. Mai 2005 bestimmt. Der Betroffene und der Messbeamte wurden geladen. Mit Schriftsatz vom 6. Mai 2005 beantragte der Betroffene sodann erneut, von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung am 18. Mai 2005 entbunden zu werden. Der Schriftsatz entspricht im Wesentlichen inhaltlich den Angaben des Betroffenen in seinem Schriftsatz vom 3. Mai 2005. Das Amtsgericht lehnte mit Beschluss vom 10. Mai 2005 den Antrag des Betroffenen ab, "da seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts erforderlich erscheint".
In der Hauptverhandlung am 18. Mai 2006 erschien der Betroffene nicht; der geladene Zeuge war ebenfalls nicht erschienen. Das Verfahren wurde ausgesetzt und beschlossen, neuen Termin von Amts wegen anzuberaumen. Nachdem dem Betroffenen verschiedene Messunterlagen zur Verfügung gestellt worden waren, wurde Hauptverhandlungstermin auf den 7. Dezember 2005 anberaumt, der jedoch wegen Erkrankung des Zeugen nicht durchgeführt werden konnte. Das Amtsgericht terminiert dann neu auf den 22. Februar 2006. In diesem Termin, in dem der Betroffene nicht erschienen war, beantragte der Verteidiger unter Bezugnahme auf seinen Schriftsatz vom 3. Mai 2006, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Das Amtsgericht hat diesen Antrag in der Hauptverhandlung nicht beschieden, sondern durch das angefochtene Urteil den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Die Entscheidung ist formularmäßig begründet.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig gestellt, form- und fristgerecht begründet worden und hat auch in der Sache Erfolg. Da die verhängte Geldbuße nicht mehr als 100 EUR beträgt, richten sich die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG. Danach ist die Rechtsbeschwerde in den Verfahren mit den so genannten weniger bedeutsamen Fällen nur zuzulassen zur Fortbildung des materiellen Rechts (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 2 OWiG) oder, wenn das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Die Verfahrensweise des AG verletzt den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), so dass die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen war.
1.
Die Verfahre...