Leitsatz (amtlich)

Ordnet ein Polizeibeamter auch heute noch, ohne dass "Gefahr im Verzug" vorliegt die Entnahme einer Blutprobe "entsprechend der langjährigen Praxis" an, ohne einen Richter kontaktiert zu haben, ist das eine so grobe Verkennung der Eilzuständigkeit, dass das zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes führt.

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendrichter zuständige Abteilung des Amtsgerichts Lemgo zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Jugendrichter beim Amtsgericht Lemgo hat den Angeklagten wegen Vollrausches mit einer Geldbuße von 900,- Euro, zahlbar zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung belegt und ihm ferner die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von 15 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte der Angeklagte am 01.05.2008 (Maifeiertag) erheblich dem Alkohol zugesprochen und sich aus Unachtsamkeit in einen erheblichen Rauschzustand versetzt. In diesem Zustand fuhr er um 19.05 Uhr mit einem PKW durch die Ortschaft Kalletal und kam infolge alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit von der Fahrbahn ab, geriet frontal mit beiden Vorderrädern über die Bordsteinkante, wobei die Vorderreifen platzten, befuhr eine kleine Rasenfläche, überfuhr ein Hinweisschild und einen Zaun auf einer Länge von etwa 5 Metern. Auch das vom Angeklagten geführte Fahrzeug wurde beschädigt. Ohne wegen der Schäden die Feststellung seiner Personalien zu ermöglichen und nunmehr im Bewusstsein der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit setzte der Angeklagte die Fahrt fort und fuhr mit quietschenden Reifen, mit den Vorderrädern auf den Felgen fahrend, davon. Beinahe kollidierte er dabei mit einem anderen fahrenden PKW.

Schließlich parkte er das Fahrzeug vor seinem Wohnhaus und legte sich ins Bett. Die um 20.08 Uhr auf Anordnung eines Polizeibeamten entnommene Blutprobe ergab einen BAK-Wert von 2,6 Promille.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

1.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Rüge der Verletzung des § 81 a StPO in vollem Umfang Erfolg.

Der Rüge liegen folgende, von der Revision vorgetragene Verfahrenstatsachen zu Grunde:

Nachdem die von Zeugen des Vorfalls herbeigerufenen Polizeibeamten nach 19:35 Uhr vor dem Haus, in dem der Angeklagte bei seinen Eltern wohnt, eingetroffen und dort den Vater des Angeklagten beim Reifenwechsel an dem Tatfahrzeug angetroffen hatten, geriet der Tatverdacht schnell auf den Angeklagten. Dieser wurde geweckt und fiel durch schwankenden Gang und Stand sowie Atemalkoholgeruch auf. Einen Alkoholtest lehnte er ab. Darauf hin ordnete der Polizeibeamte, POK H., auf der Grundlage des § 81 a StPO eine Blutentnahme an, ohne zuvor Kontakt mit der Staatsanwaltschaft oder dem Ermittlungsrichter aufgenommen oder dies versucht zu haben. Im angefochtenen Urteil heißt es insoweit: "Im vorliegenden Fall hatte die Polizei entsprechend der langjährigen Praxis die Anordnung einer Blutprobe ohne vorherige Einschaltung der Staatsanwaltschaft und des Amtsgerichts getroffen."

Der Angeklagte leistete der Anordnung widerspruchslos Folge. Die Blutprobe wurde um 20.08 Uhr im Klinikum Lippe-Lemgo entnommen. Ein sog. "Nachtrunk" hat nicht stattgefunden.

Bereits zu Beginn der Hauptverhandlung meldete der Verteidiger des Angeklagten Bedenken im Hinblick auf die Verwertung des auf der entnommenen Blutprobe basierenden BAK-Gutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts an und widersprach der Verlesung und Verwertung noch vor Verlesung des Gutachtens in der Hauptverhandlung. Darauf verkündete das Gericht den Beschluss, dass das Gutachten verlesen und verwertet werden solle. Es wurde sodann durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt.

2.

Die Rüge genügt den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Danach müssen bei einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht auf Grund dieser Darlegung das Vorhandensein - oder Fehlen - eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden (BGH NJW 1995, 2047; OLG Hamm NJW 2009, 242; OLG Hamm Urt. v. 12.02.2008 - 3 Ss 541/07 = Beck RS 2008, 07744). Dem wird der Vortrag der Revision gerecht.

Zwar enthält die Revisionsbegründung keine Ausführungen dazu, ob überhaupt beim für Kalletal örtlich zuständigen Amtsgericht Lemgo am 1. Mai 2008 zum Zeitpunkt der Anordnung der Blutprobenentnahme (der im übrigen ebenfalls nicht näher mitgeteilt wird) ein richterlicher Eildienst bestand. Dies ist jedoch unschädlich. Denn entweder hat der die Blutprobenentnahme anordnende Polizeibeamte gegen den Richtervorbehalt verstoßen, in dem er - trotz bestehenden richterlichen Eildienstes - nicht versucht hat, dessen Anordnung einzuholen, oder es l...

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