Entscheidungsstichwort (Thema)
Besetzungseinwand. Begründungsanforderungen. Verfahrensrüge. Schöffe. Erholungsurlaub. Willkür. Prüfungsmaßstab
Leitsatz (amtlich)
1. Gemäß § 222b Abs. 1 S. 2 StPO sind die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben. Die an diesen Vortrag zu stellenden Anforderungen entsprechen im Wesentlichen den Rügeanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Daran hat sich durch die Neueinführung des § 222b Abs. 3 StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 05.11.2019 nichts geändert.
2. Ob einem Schöffen die Dienstleistung im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 1 GVG zugemutet werden kann, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist - zur Wahrung des Rechts auf den gesetzlichen Richter - ein strenger Maßstab anzulegen. (Bereits gebuchter) Erholungsurlaub eines Schöffen stellt in der Regel einen Umstand dar, der zur Unzumutbarkeit der Dienstleistung führt.
3. Im Verfahren nach § 222b Abs. 3 StPO überprüft das Rechtsmittelgericht die Ermessensentscheidungen des Vorsitzenden lediglich am Maßstab der Willkür.
Normenkette
StPO § 222b Abs. 1, 3, § 344 Abs. 2; GVG § 54
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 22 Ks 16/21) |
Tenor
Der Besetzungseinwand des Angeklagten wird auf dessen Kosten verworfen.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Essen hat am 29.03.2021 Anklage wegen Totschlags in drei Fällen zum Landgericht - Schwurgericht - Essen gegen den Angeklagten erhoben. Mit Beschluss vom 30.06.2021 hat das Landgericht das Verfahren bezüglich eines der Vorwürfe eröffnet und hinsichtlich der beiden weiteren Totschlagsvorwürfe abgetrennt und im hiesigen Verfahren fortgeführt. Mit Beschluss vom 21.12.2021 hat das Landgericht Essen das Hauptverfahren auch insoweit eröffnet.
Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat mit Verfügung vom 18.01.2022 nach vorheriger Abstimmung den Termin für die Hauptverhandlung für den 04.05.2022 mit neun Fortsetzungsterminen am 06.05., 16.05, 19.05. 25.05., 30.05., 07.06., 15.06., 21.06. und 24.06.2022 bestimmt und die Verfahrensbeteiligten geladen. Mit ergänzender Verfügung vom 07.02.2022 hat der Vorsitzende den Fortsetzungstermin am 25.05.2022 aus dienstlichen Gründen aufgehoben und stattdessen einen weiteren Fortsetzungstermin am 02.06.2022 bestimmt. Es wurden in der Folge zahlreiche Zeugen und ein Sachverständiger geladen, sodass für sämtliche Hauptverhandlungstermine Beweisprogramm vorgesehen war.
Mit Email vom 24.01.2022 hat die Hauptschöffin B gegenüber der Schöffengeschäftsstelle mitgeteilt, sie befinde sich am 19.05.2022 und am 25.05.2022 im Urlaub. Den Urlaubstermin habe sie bereits mitgeteilt. Dem Vorsitzenden wurde sodann ein Vermerk mit der Bitte um Entscheidung gemäß §§ 77, 54 GVG vorgelegt, nach welchem die Hauptschöffin sich in der Zeit vom 16.05.2022 bis zum 27.05.2022 im Urlaub befinde und daher am Fortsetzungstermin am 25.05.2022 verhindert sei. Auf telefonische Nachfrage teilte die Hauptschöffin dem Vorsitzenden des Schwurgerichts mit, sie werde sich "in der mitgeteilten Zeit" in einem bereits gebuchten Familienurlaub in Spanien befinden, der aufgrund der Berufstätigkeit ihres Ehemannes nicht verschiebbar sei. Der Vorsitzende entpflichtete daraufhin mit Beschluss vom 28.01.2022 die Schöffin. Aufgrund eines Versehens trug er in die Begründung hierfür ein, dass die Schöffin sich an den Sitzungstagen am 16.05.2022 und 27.05.2022 im Ausland aufhalten werde und ihr das Erscheinen daher unzumutbar sei. Im Übrigen wurde wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf einen Telefonvermerk betreffend das oben genannte Telefonat mit der Schöffin.
Die im Anschluss geladene Hilfsschöffin A hat am 01.02.2022 mitgeteilt, dass sie sich vom 06.05.2022 bis zum 09.05.2022 mit ihrem Sohn im Urlaub befinden werde und eine Buchungsbestätigung übersandt. Aus den von der Hilfsschöffin übersandten Unterlagen ergab sich, dass es sich um eine Reise nach Italien anlässlich eines Geburtstags handelte. Der Vorsitzende hat die Schöffin daraufhin mit Beschluss vom 02.02.2022 von der Dienstleistung an der Sitzung am 04.05.2022 mit Fortsetzungsterminen entbunden.
Anstelle der Hilfsschöffin ist sodann der Ersatzschöffe C geladen worden. Nach Mitteilung hierüber an den Vorsitzenden des Schwurgerichts hat dieser am 08.04.2022 die Mitteilung der Gerichtsbesetzung an die Verfahrensbeteiligten verfügt. Dem Verteidiger ist das Schreiben am 11.04.2022 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 19.04.2022, eingegangen beim Landgericht am selben Tag, hat der Angeklagte die Besetzung des Gerichts hinsichtlich des Schöffen C gerügt und im Wesentlichen damit begründet, dass hinsichtlich der Entpflichtung der Hauptschöffin B angesichts der widersprüchlichen Dokumentation der Urlaubs- und Verhinderungsdaten zu besorgen sei, dass der Vorsitzende die Entscheidung auf einer falschen tatsächlichen Grundlage getroffen habe. Betreffend die Hilfsschöffin A fehle es der Entpflichtungsentscheidung an einer Begründung, insbesondere da der Auslandsaufenthalt ange...