Entscheidungsstichwort (Thema)

Internationale Kindesentführung: Kriterium zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts; Indiz für die Mindestdauer des Aufenthalts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der gewöhnliche Aufenthalt des Art. 4 Satz 1 HKÜ richtet sich nach dem tatsächlichen Lebensmittelpunkt des Kindes. Als Indiz für die Mindestdauer des Aufenthalts ist in der Regel von einer Sechs-Monats-Frist auszugehen.

2. Unter dem Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" des Kindes ist im Sinne eines international einheitlichen Verständnisses des HKÜ der tatsächliche Mittelpunkt der Lebensführung, der Daseinsschwerpunkt zu verstehen.

 

Normenkette

KiEntfÜbk Haag Art. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Hamm (Beschluss vom 04.05.2012)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG -Familiengericht- Hamm vom 4.5.2012 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I. Die Antragsgegnerin und jede andere Person, bei der sich die Kinder C, geboren am 6.11.2002 und C2, geb. am 15.4.2005 aufhalten, ist verpflichtet, die Kinder C und C2, wohnhaft bei der Antragsgegnerin, Q-Straße in F, sowie die im Besitz dieser Person befindlichen, den Kindern gehörenden persönlichen Gegenstände an den Antragsteller oder eine von diesem bestimmte Person zum Zwecke der Rückführung der Kinder in die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) herauszugeben.

II. Der Antragsteller ist berechtigt, sich oder einer von ihm bevollmächtigten Person die bei den Gerichtsakten befindlichen Reisepässe der Kinder C, geboren am 6.11.2002 und C2, geb. am 15.4.2005 auf der Geschäftsstelle des OLG aushändigen zu lassen oder sich diese übersenden zu lassen.

III. Der Antragsgegnerin wird vor der Anwendung unmittelbaren Zwangs die Möglichkeit eingeräumt, die Kinder C und C2 bis zum 16.7.2012 freiwillig in die USA zurückzuführen. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung der Verpflichtung zu I. abwenden, indem sie bis zum 25.7.2012 dem Senat durch Vorlage einer Erklärung des Antragstellers bzw. seines Verfahrensbevollmächtigten oder einer US-amerikanischen öffentlichen Stelle nachweist, dass sie oder eine von ihr bestimmte Person die Kinder C, geboren am 6.11.2002 und C2, geb. am 15.4.2005 in die USA zurückgeführt hat.

IV. Die Antragsgegnerin wird darauf hingewiesen, dass das Gericht im Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zu I. gem. § 44 Abs. 3 Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz (IntFamRVG) i.V.m. § 89 FamFG ein Ordnungsgeld bis zu 25.000 EUR sowie für den Fall, dass Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann oder die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg verspricht, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten anordnen kann.

V. Zum Vollzug von I. wird weiter angeordnet:

1. Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, die unter I. aufgeführten Kinder der Antragsgegnerin oder jeder anderen Person, bei der sich die Kinder aufhalten, wegzunehmen und es dem Antragsteller oder einer von ihm bestimmten Person an Ort und Stelle zu übergeben.

2. Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, zur Durchsetzung der Herausgabe unmittelbaren Zwang gegen jede zur Herausgabe verpflichtete Person und erforderlichenfalls auch gegen die Kinder nach Maßgabe des § 90 Abs. 2 FamFG anzuwenden.

3. Der Gerichtsvollzieher wird zum Betreten und zur Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegnerin sowie der Wohnung jeder anderen Person, bei der sich die Kinder aufhalten, ermächtigt.

4. Der Gerichtsvollzieher ist befugt, die vorgenannten Vollstreckungsmaßnahmen auch zur Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen vorzunehmen.

5. Der Gerichtsvollzieher wird zur Hinzuziehung polizeilicher Vollzugsorgane ermächtigt.

6. Das Jugendamt F ist gem. § 9 Abs. 1 IntFamRVG verpflichtet,

a) Vorkehrungen zur Gewährleistung der sicheren Herausgabe der Kinder C, geboren am 6.11.2002 und C2, geb. am 15.4.2005, wohnhaft bei der Antragsgegnerin, an den Antragsteller oder an die von ihm bestimmte Person zu treffen,

b) die Kinder C, geboren am 6.11.2002 und C2, geb. am 15.4.2005 nach Vollstreckung der Herausgabe gegebenenfalls vorläufig bis zur Rückführung in die Obhut einer für geeignet befundenen Einrichtung oder Person zu geben.

7. Eine Vollstreckungsklausel ist nicht erforderlich.

VI. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Vollstreckungskosten sowie die Rückführungskosten.

VII. Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 7.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Kindeseltern lernten sich im Jahr 2000 im Kosovo kennen, wo beide sich aus beruflichen Gründen aufhielten. Der Antragsteller, der US-amerikanischer Staatsangehöriger ist, arbeitete dort, nachdem er früher als Polizist tätig war, für eine Sicherheitsfirma. Die Antragsgegnerin war dort als deutsche Polizeibeamtin zur Auslandsmission entsandt. 2001 stand fest, dass die Antragsgegnerin zum Antragsgegner in die Vereinigten Staaten von Amerika (im Folgenden "USA") ziehen würde. Ab August 2001 ließ die Antragsgegnerin sich für 6 Jahre und später noch einmal für 6 Jahre vom Dienst beurlauben. Sie zog zu dem Antragsteller nach North B...

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