Leitsatz (amtlich)
1. In einem einstweiligen Verfügungsverfahren kann der Versicherer verpflichtet werden, vorab eine Kostenzusage zu erteilen, wenn ein schutzwürdiges Interesse des Versicherungsnehmers hieran besteht.
2. Eine Heilbehandlung liegt auch dann vor, wenn zur Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit eine Überwachung zur Erhaltung der Vitalfunktionen rund um die Uhr erforderlich ist (hier: Absaugen von Schleim bei chronisch obstruktiver Bronchitis und schwerer Dysphagie).
3. Eine Formularklausel in einem Krankheitskostenversicherungsvertrag, die nichtärztliche Leistungen, die zur Erhaltung der Vitalfunktionen des Versicherungsnehmers erforderlich sind, ausgrenzt, gefährdet den Vertragszweck i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Verfahrensgang
LG Münster (Beschluss vom 08.08.2011; Aktenzeichen 115 O 144/11) |
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung verpflichtet, dem Antragsteller gegenüber eine bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens gültige schriftliche Zusage für die Kostenübernahme der am 7.7.2011 ärztlich verordneten medizinischen Intensivpflege i.H.v. 30 % der Kosten abzugeben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin nach einem Gegenstandswert von 38.880 EUR.
Gründe
I. Der Kläger ist Richter im Ruhestand, nachdem er im Jahr 1999 einen hypoxischen Hirnschaden erlitten hat. Er ist in die Pflegestufe 3 eingruppiert und wird zu Hause gepflegt.
Am 1.4.2011 verordnete der behandelnde Arzt, der eine chronische obstruktive Bronchitis und eine schwere Dysphagie diagnostizierte, eine häusliche medizinische Intensivpflege für die Zeit vom 1.4.2011 bis zum 30.4.2011 für die Nacht als dringend erforderlich, da eine Krankenschwester für den nächtlichen Dienst das Absaugen von Schleim übernehmen und dadurch die Atmung sicherstellen müsse (Bl. 10 GA). Mit Verordnung vom 1.5.2011 wiederholte der behandelnde Arzt diese Verordnung betreffend die Zeit vom 1.5.2011 bis zum 31.7.2011 (Bl. 11 GA).
Mit Verordnung vom 7.7.2011 verordnete der behandelnde Arzt eine häusliche Intensivpflege für 24 Stunden als dringend erforderlich. Ganztägig sei eine Krankenschwester zur Übernahme des Absaugens von Schleim und zur Sicherstellung der Atmung erforderlich (Bl. 12 GA). Nach einem "ärztlichen Gutachten" des behandelnden Arztes besteht zur Zeit eine extrem starke Schleimproduktion, die durch akute Verlegung der Luftröhre zu einer lebensbedrohlichen Situation führen könne. Deshalb müsse der Antragsteller ständig intensivmedizinisch beobachtet werden; Im Falle des Hochhustens des Schleims müsse dieser zur Vermeidung einer vitalen Gefährdung sofort abgesaugt oder manuell entfernt werden (Bl. 13 GA).
Gemäß Kostenvoranschlag der "j gmbH" vom 19.7.2011 (Bl. 14 GA) entstehen für diese außerklinische Intensivpflege monatliche Kosten von 21.600 EUR bei einem Stundensatz von 30 EUR.
Der Antragsteller hat gegenüber dem Land B einen Beihilfeanspruch i.H.v. 70 %. Hinsichtlich der weiteren 30 % besteht mit der Antragsgegnerin ein Krankenversicherungsvertrag unter der Geltung der "Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung Stand 1.1.2009" sowie der "Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung Stand 1.1.2009 Teil II Tarife P und Z mit Tarifbedingungen Stand 1.1.2009".
Mit Schreiben vom 5.4.2011 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass tarifliche Leistungen nicht erbracht werden könnten, weil bedingungsgemäß nur Aufwendungen für solche ärztliche Leistungen erstattungsfähig seien, die in der Gebührenordnung für Ärzte aufgeführt seien. Bei Leistungen der Behandlungspflege durch Angehörige von privaten Pflegediensten handele es sich nicht um ärztliche Leistungen.
Der Antragsteller hat geltend gemacht, dass die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Kostenübernahme daraus folge, dass die häusliche Intensivpflege ärztlich verordnet sei und damit eine Leistung darstelle, auch wenn die Leistung als solche nicht von einem Arzt, sondern von einer Krankenschwester übernommen werde.
Er hat vorgetragen und durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seiner gesetzlichen Vertreterin (Bl. 50 GA) glaubhaft gemacht, dass angefragte Pflegedienste zur Übernahme der verordneten Intensivpflege nur bereit seien, wenn auch die Antragsgegnerin eine Kostenzusageerklärung abgebe. Derzeit werde die Pflege durch die Ehefrau und deren Schwester durchgeführt, die jedoch beide ausweislich eines ärztlichen Attestes (Bl. 18 GA) akut erkrankt seien.
Hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Antragsteller eine Lohnsteuerbescheinigung (Bl. 49 GA) sowie eine eidesstattliche Versicherung seiner gesetzlichen Vertreterin vorgelegt (Bl. 50 GA)
Er hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass ihm durch die übermäßige Schleimproduktion Lebensgefahr drohe.
Der Antragsteller hat am 20.7.2011 Klage in der Hauptsache erhoben.
Das LG hat den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch...