Entscheidungsstichwort (Thema)

Bußgeldbescheid. Anforderungen. Konkretisierung. Bezugnahme. Gewerbsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Bezeichnung der "Tat" in § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG genügt die Angabe der allgemeinen ("abstrakten") gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht. Vielmehr ist der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll und gegen welchen Vorwurf er sich daher verteidigen muss. Der Umfang der Tatschilderung wird maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt, wobei keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen.

2. Eine Bezugnahme im Bußgeldbescheid auf außerhalb seiner selbst (oder mit ihm verbundener Anlagen) liegende Aktenbestandteile ist unzulässig – selbst dann, wenn diese dem Betroffenen vorher in Abschrift mitgeteilt worden sind.

3. Gewerbsmäßig i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 8 TierSchG handelt, wer die Tätigkeit planmäßig, fortgesetzt und mit der Absicht der Gewinnerzielung ausübt.

 

Normenkette

OWiG § 66; TierSchG § 11

 

Verfahrensgang

AG Gelsenkirchen (Aktenzeichen 321 OWi 154/20)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens und die der Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat die Betroffene mit dem angefochtenen Urteil wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handels mit Wirbeltieren zu einer Geldbuße von 1.500 Euro verurteilt und ihr Ratenzahlung bewilligt. Gegen das Urteil wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Insbesondere rügt sie, dass das Urteil nicht ordnungsgemäß unterzeichnet worden sei und dass ein gewerbsmäßiger Handel nicht vorgelegen habe. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Einstellung des Verfahrens (§§ 79 Abs. 3 OWiG; 353, 354 Abs. 1 StPO).

Es besteht ein Verfahrenshindernis, weil der Bußgeldbescheid vom 26.11.2018 unwirksam ist.

Nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG muss der Bußgeldbescheid "die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeld vor Schriften" enthalten. Das entspricht den Anforderungen, die an die Anklageschrift und an den Strafbefehl gestellt werden, dem der Bußgeldbescheid nachgebildet worden ist. Der Bußgeldbescheid erfüllt auch dieselben Aufgaben. Er enthält wie der Strafbefehl die Beschuldigung, die den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens - im Falle der Einspruchseinlegung, wie die Anklageschrift, auch den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens - in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht abgrenzt und mithin auch den Umfang der Rechtskraft (§ 84 OWiG) bestimmt. Außerdem soll er dem Betroffenen ein Bild von der Berechtigung des gegen ihn erhobenen Vorwurfes verschaffen, damit der Betroffene wie beim Strafbefehl prüfen kann, ob er Einspruch einlegen und wie er für diesen Fall - das gilt wiederum auch für die Anklageschrift - seine Verteidigung in der Hauptverhandlung vorbereiten soll. Deshalb genügt zur Bezeichnung der "Tat" in § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG die Angabe der allgemeinen ("abstrakten") gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht. Vielmehr ist der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll und gegen welchen Vorwurf er sich daher verteidigen muss. Der Umfang der Tatschilderung wird maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt. Da das Bußgeldverfahren eine schnelle und Verwaltungskosten einsparende Ahndung der Ordnungswidrigkeiten bezweckt, verbieten sich überhöhte Anforderungen an die Schilderung von selbst; auch ein in Rechtsfragen unerfahrener Bürger muss jedoch den Vorwurf verstehen können (vgl. nur: OLG Hamm, Beschl. v. 16.09.2021 - III-4 RBs 277/21 - juris).

Wesentlich für den Bußgeldbescheid als Prozessvoraussetzung ist seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll. Mängel in dieser Richtung lass...

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