Entscheidungsstichwort (Thema)

Bußgeldbescheid. inhaltliche Anforderungen. Abgrenzungsfunktion. Bestimmtheit. Zahl der Taten. Tatdaten

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Tatbeschreibung in einem Bußgeldbescheid wegen einer Nichtverkehrsordnungswirigkeit.

 

Normenkette

OWiG § 66

 

Verfahrensgang

AG Arnsberg (Aktenzeichen 9 OWi 390/21)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Das Verfahren wird eingestellt.Die Kosten des Verfahrens und die der Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse (§§ 467 Abs 1; 473 Abs. 1 StPO; 46, 79 Abs. 3 OWiG) .

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 126 Abs. 1 SchulG NW zu einer Geldbuße von 300 Euro verurteilt.

Gegen das Urteil haben die Staatsanwaltschaft und die Betroffene, jeweils mit der Begründung der Verletzung materiellen Rechts Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, beide Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Einstellung des Verfahrens (§§ 79 Abs. 3 OWiG; 353, 354 Abs. 1 StPO).

Es besteht ein Verfahrenshindernis, weil ein wirksamer Bußgeldbescheid nicht erlassen worden ist.

Zum einen ist bereits zweifelhaft, ob ein Bußgeldbescheid überhaupt erlassen wurde. Der Aktenbestandteil Bl. 7-10 d.A. lässt aus sich heraus nicht klar erkennen, ob dies der endgültige Bußgeldbescheid sein soll oder lediglich ein Entwurf. In der Kopfzeile steht "Entwurf/erstellt von". Der "Entwurf" ist auch nicht unterzeichnet. Das könnte dafür sprechen, dass ein endgültiger Willensakt der Behörde, dass der Bußgeldbescheid auch tatsächlich so erlassen werden sollte, fehlt. Wohl spricht die nachgeheftete Verfügung zu einem Schreiben der Bußgeldbehörde an den Schulleiter, mit dem eine "Durchschrift" des "Bußgeldbescheids" übersandt wurde und welche unterschrieben ist, für einen solchen Willensakt. Dieses Indiz wird allerdings dadurch entkräftet, dass die Sachbearbeiterin der Bußgeldbehörde auf telefonische Nachfrage gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft angegeben hat, dass es sich bei Bl. 7-10 d.A. lediglich um, einen Entwurf handele (vgl. Vermerk Bl. 164 d.A.).

Selbst wenn man von einem am 19.08.2022 erlassenen Bußgeldbescheid ausgehen wollte, so ist dieser unwirksam.

Nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG muss der Bußgeldbescheid "die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeld vor Schriften" enthalten. Das entspricht den Anforderungen, die an die Anklageschrift und an den Strafbefehl gestellt werden, dem der Bußgeldbescheid nachgebildet worden ist. Der Bußgeldbescheid erfüllt auch dieselben Aufgaben. Er enthält wie der Strafbefehl die Beschuldigung, die den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens - im Falle der Einspruchseinlegung, wie die Anklageschrift, auch den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens - in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht abgrenzt und mithin auch den Umfang der Rechtskraft (§ 84 OWiG) bestimmt. Außerdem soll er dem Betroffenen ein Bild von der Berechtigung des gegen ihn erhobenen Vorwurfes verschaffen, damit der Betroffene wie beim Strafbefehl prüfen kann, ob er Einspruch einlegen und wie er für diesen Fall - das gilt wiederum auch für die Anklageschrift - seine Verteidigung in der Hauptverhandlung vorbereiten soll. Deshalb genügt zur Bezeichnung der "Tat" in § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG die Angabe der allgemeinen ("abstrakten") gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht. Vielmehr ist der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll und gegen welchen Vorwurf er sich daher verteidigen muss. Der Umfang der Tatschilderung wird maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt. Da das Bußgeldverfahren eine schnelle und Verwaltungskosten einsparende Ahndung der Ordnungswidrigkeiten bezweckt, verbieten sich überhöhte Anforderungen an die Schilderung von selbst; auch ein in Rechtsfragen unerfahrener Bürger muss jedoch den Vorwurf verstehen können (vgl. nur: OLG Hamm, Beschl. v. 16.09.2021 - III-4 RBs 277/21 - juris).

Wesentlich für den Bußgeldbescheid als Prozessvoraussetzung ist seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll. Mängel in dieser Richtung lassen sich weder mit...

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