Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinweis auf Verdoppelung des Regelsatzes. Beweiskraft des Protokolls. Überraschungsentscheidung. Beschränkung der Zulassung
Leitsatz (amtlich)
1. Wird der Regelsatz des Bußgeldes, welcher mit dem Bußgeldbescheid verhängt wurde, vom Gericht verdoppelt, ohne dass dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme dazu gegeben wurde, so liegt eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor.
2. Eine Beschränkung der Zulassung der Rechtsbeschwerde (hier: auf den Rechtsfolgenausspruch) ist möglich, wenn der Zulassungsgrund nur einen Teil des angefochtenen Urteils betrifft.
Normenkette
OWiG § 80 Abs. 1-2; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Herford (Aktenzeichen 11 OWi 896/08) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird - soweit der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils angegriffen wird - zugelassen. Im übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde verworfen.
Auf die im oben genannten Umfang zugelassene Rechtsbeschwerde wird die gegen den Betroffenen im angefochtenen Urteil verhängte Geldbuße auf 25 Euro herabgesetzt.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt dieser zur Hälfte. Im übrigen werden sie der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 50 Euro verurteilt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit der er unter anderem eine Verletzung rechtlichen Gehörs rügt.
II.
Der statthafte und rechtzeitig gestellte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet.
Hat das Amtsgericht den Betroffenen - wie hier - zu einer Geldbuße von nicht mehr als 100 Euro verurteilt, ist die Rechtsbeschwerde gem. § 80 Abs. 2 Nr. 1 i. V.m. Abs. 1 OWiG wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht und wegen der Anwendung von materiellrechtlichen Normen nur zur Fortbildung des Rechts oder dann zuzulassen, wenn das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben ist.
Die Rechtsbeschwerde war insoweit zuzulassen, als das Urteil - im Rechtsfolgenausspruch - wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben - bzw. hier gem. § 79 Abs. 6 OWiG abzuändern - ist. Eine weitergehende Zulassung der Rechtsbeschwerde scheidet aus.
1.
a) Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist noch zulässig erhoben.
Die Antragsbegründung legt dar, dass die Erhöhung des im Bußgeld mit 25 Euro festgesetzten Bußgeldes zu keiner Zeit Gegenstand der Hauptverhandlung war und das Amtsgericht dennoch eine Erhöhung auf 50 Euro vorgenommen hat. Daraus erschließt sich, dass der Betroffene zu einer entsprechenden Erhöhung, wobei es sich vorliegend um die Verdoppelung des Regelsatzes nach Nr. 11.3.2. Tabelle 1 BKatV handelt, nicht gehört wurde, ihm insbesondere kein gerichtlicher Hinweis auf eine beabsichtigte Verdoppelung des Regelsatzes erteilt wurde. Aus den Ausführungen, dass "Gesichtspunkte, die eine Erhöhung rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich" seien, entnimmt der Senat noch mit hinreichender Deutlichkeit, dass der Betroffene im Falle einer entsprechenden Anhörung gerade dieses auch vorgetragen hätte (vgl. zu dieser Voraussetzung OLG Hamm Beschl. v. 24.09.2009 - 3 SsOWi 527/09 - juris).
b) Die Rüge ist auch begründet.
aa) Das Amtsgericht hat mit der unangekündigten Erhöhung des Bußgeldes eine nach Art. 103 Abs. 1 GG unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen hat. Dass das Gericht seine Erhöhungsabsicht nicht angekündigt hat, ergibt sich nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 274 Satz 1 StPO daraus, dass das Hauptverhandlungsprotokoll einen solchen, zur Gewährung des rechtlichen Gehörs zu erteilenden und zu den wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens gehörenden Hinweis (vgl. OLG Jena Beschl. v. 22.05.2007 - 1 Ss 346/06 - juris) nicht verzeichnet. Der Tenor des in der Hauptverhandlung verkündeten Urteils lautet ausweislich des Protokolls auf 50 Euro. Damit ist (§ 274 StPO, vgl. BGH Beschl. v. 22.7.2009 - 2 StR 173/09 = BeckRS 2009, 22715) bewiesen, dass das in der Hauptverhandlung verkündete Urteil auf diesen Betrag lautete und es sich nicht - wie der Betroffene vermutet - um einen Schreibfehler im schriftlichen Urteil handelt (möglicherweise mag beim Tatrichter ein Irrtum über die Höhe des Regelsatzes nach Ziff. 1.3.2. Angang 1 BKatV vorgelegen haben, welcher aber nicht als bloßer "Schreibfehler" korrigiert werden kann).
bb) Ein gerichtlicher Hinweis auf die beabsichtigte Erhöhung des Regelsatzes wäre erforderlich gewesen.
Der Senat schließt sich diesbezüglich der Rechtsauffassung in dem Beschluss des OLG Jena vom 22.05.2007 - 1 Ss 346/06 - an. Darin wird zutreffend Folgendes ausgeführt:
"Eine Gehörsverletzung i.S.d. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist gegeben, wenn Art. 103 Abs. 1 GG missachtet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 09.12.2003, 1 Ss 314/03, S. 3 juris-Umdruck), der den Verfahrensbeteiligten das Recht gewährt, sich sowohl zu den der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen als a...