Leitsatz (amtlich)
1.
Einem 80-jährigen Angeklagten, der seit sieben Jahren unter Betreuung steht, ist auch dann, wenn nur die Verurteilung zu einer geringfügigen Geldstrafe droht, ein Pflichtverteidiger beizuordnen.
2.
Zum erforderlichen Umfang der Feststellungen hinsichtlich der subjektiven Tatseite beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort
Verfahrensgang
AG Herne (Entscheidung vom 13.02.2003) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herne zurückverwiesen.
Gründe
Gegen den am 7. Juli 1923 geborenen Angeklagten ist durch Urteil des Amtsgerichts Herne vom 13. Februar 2003 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort auf eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 50,00 EUR erkannt worden. In der Hauptverhandlung ist der Angeklagte, der bereits durch Beschluss des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 29. März 1996 in Prozess- und Behördenangelegenheiten gemäß den §§ 1896, 1903 BGB unter Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt gestellt worden ist, nicht durch einen (Pflicht-)Verteidiger vertreten worden.
Das Amtsgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte hatte am 12.07.2002 seinen Personenkraftwagen der Marke VW (Kennzeichen XXX) in Herne auf der Bielefelder Straße vor dem Haus Nummer 146 geparkt. Gegen 17:45 Uhr bestieg er zusammen mit seiner Ehefrau den Pkw und versuchte aus der Parklücke rückwärts auszuparken. Dabei übersah er infolge Unachtsamkeit den hinter seinem Fahrzeug geparkten LKW der Zeugin M. S. und prallte mit seinem Heckbereich gegen den Frontbereich des LKW mit dem amtlichen Kennzeichen XXX. An dem LKW der Zeugin M. S. entstand ein Fremdschaden in Höhe von E 801,36.
Obwohl es ein sehr lautes Aufprallgeräusch gab und der Angeklagte den Unfall bemerkte, entfernte er sich mit dem Fahrzeug nach 1 - 2 Minuten, ohne dass jemand bereit war, die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung an dem Unfall zu treffen, von der Unfallstelle."
Zur Beweiswürdigung hat das Amtsgericht ausgeführt:
"Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit dieser gefolgt werden konnte und den Aussagen der in der Hauptverhandlung uneidlich vernommenen Zeugen M.E., H.E. und M.S.. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er sei zwar zur fraglichen Zeit am fraglichen Ort gewesen, habe aber keinen Unfall verursacht und insbesondere kein Unfallgeräusch gehört, obwohl er durchaus noch gut hören könne. Darüber hinaus hat der Angeklagte wenig nachvollziehbare Verschwörungstheorien vorgetragen, denen das Gericht nicht folgen konnte. Die Ehefrau des Angeklagten, die Zeugin M.E., hat in der Hauptverhandlung bekundet, auch sie habe keinerlei Aufprallgeräusch gehört. Die Einlassung des Angeklagten ist jedoch durch die glaubhafte Aussage des Zeugen E., der keinerlei eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, widerlegt. Der Zeuge E. ist als unbeteiligter Zeuge durch das laute Aufprallgeräusch auf den Verkehrsunfall aufmerksam geworden. Er hat in der Hauptverhandlung keinerlei übermäßige Belastungstendenz erkennen fassen. Es ist auch nicht erkennbar, warum er den Angeklagten zu Unrecht belasten sollte. Das Gericht ist deshalb der Aussage dieses Zeugen, der über das gesamte Verfahren eine erstaunliche Aussagekonstanz gezeigt hat, gefolgt, dass der Angeklagte den Verkehrsunfall verursacht hat und durch diesen Verkehrsunfall ein lautes Aufprallgeräusch entstanden ist, das auch der Angeklagte nicht überhören konnte."
Mit der gegen dieses Urteil am 13. Februar 2003 eingelegten Berufung, die er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 1. April 2003 als Revision bezeichnet und begründet hat, rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Zum einen macht er das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO geltend, da die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten in Abwesenheit eines notwendigen Verteidigers geführt worden sei. Zum anderen rügt er die Verletzung der §§ 261, 267 StPO sowie das vollständige Fehlen von Feststellungen zum subjektiven Tatbestand des § 142 StGB. Des Weiteren bemängelt er die Strafzumessung. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des genannten Schriftsatzes Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt,
auf die Revision des Angeklagten das angefochtene Urteil nebst den zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hagen zurückzuverweisen.
Der form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Revision ist - zumindest vorläufig - Erfolg beschieden.
1.
Obwohl in dem angefochtenen Urteil eine Geldstrafe von lediglich 15 Tagessätzen verhängt worden ist, ist die Revision zulässig, ohne dass es zuvor der Zulassung der Berufung nach § 313 Abs. 1 S. 1 StPO bedurft hätte. Während teilweise die Auffassung vertreten wird, die Zulässigkeit ...