Leitsatz (amtlich)
1. Die anwaltlichen Sorgfaltsanforderungen an die Überprüfung des ordnungsgemäßen Zugangs fristgebundener Schriftsätze bei Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) erfordern eine präzise Einweisung des für die Versendung zuständigen Personals durch den Rechtsanwalt. Diese hat sich darauf zu beziehen, wo und wie die automatische digitale Eingangsbestätigung im Sinne von § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO in der beA-Webanwendung zu finden ist und welcher Inhalt den ordnungsgemäßen Eingang der elektronischen Nachricht bei Gericht anzeigt.
2. Die erfolgreiche Übermittlung der elektronischen Nachricht an das Gericht über das beA wird in der Webanwendung des Systems durch den Meldetext "Request executed", dem Eingangsdatum und dem Übermittlungsstatus "Erfolgreich" angezeigt (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 30.3.2023 - III ZB 13/22 - NJW 2023, 1717, Rn. 10).
3. Verwendet die versendende Anwaltskanzlei eine Software, die über eine Schnittstelle zur Webanwendung des beA verfügt, kann ein von der Software eigens generiertes Dokument mit der Bezeichnung "Zustellbestätigung" nur dann ein taugliches Ersatzdokument der automatischen Eingangsbestätigung im Sinne von § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO und somit positiver Zustellnachweis sein, wenn es dieselben relevanten Prüfungsmerkmale wie der originäre Nachweis in der Webanwendung des beA aufweist. Die erforderliche anwaltliche Einweisung des für die Versendung zuständigen Personals muss sich in diesem Fall auch auf die Identifizierung dieser Merkmale in dem Ersatzdokument beziehen.
Normenkette
ZPO § 130a
Verfahrensgang
LG Paderborn (Aktenzeichen 3 O 257/22) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 28.11.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Paderborn (3 O 257/22) wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 25.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin richtet sich mit ihrer am 16.01.2023 eingelegten Berufung gegen das ihr am 03.01.2023 zugestellte klageabweisende Urteil des Landgerichts Paderborn unter Weiterverfolgung ihrer erstinstanzlichen Anträge.
Eine Berufungsbegründung ist innerhalb der gesetzlichen Frist bis zum 03.03.2023 nicht eingegangen. Der Senat hat mit Schreiben vom 08.03.2023 auf diesen Umstand und die Folge einer Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig hingewiesen. Zugleich hat er der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen gegeben.
Mit Schriftsatz vom 10.03.2023 hat die Klägerin Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist gestellt und zugleich die von ihr eingelegte Berufung inhaltlich begründet. Sie macht geltend, ohne ihr Verschulden und ohne ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten die Berufungsbegründungsfrist versäumt zu haben. Der von ihrem Prozessbevollmächtigten bereits am 06.02.2023 gefertigte und signierte und von dessen stets zuverlässigen Mitarbeiterin O., deren eidesstattliche Versicherung die Klägerin vorlegt, versandte Berufungsbegründungsschriftsatz sei - wie sich erst durch den Hinweis des Senats herausgestellt habe - aufgrund einer Störung des Empfangs elektronischer Post im Bereich der Justiz im Zeitpunkt der Absendung des Schriftsatzes tatsächlich nicht beim Berufungsgericht eingegangen. Aufgrund der vorliegenden und von der Mitarbeiterin geprüften "Zustellbestätigung" (Bl. 84 GA) habe die Mitarbeiterin auch auf den ordnungsgemäßen Zugang des Schriftsatzes vertrauen dürfen und daher auch keine Veranlassung haben müssen, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin Meldung über mögliche Zweifel an der Zustellung zu machen. Dieses Vorgehen über die Prüfung der Zustellbestätigungen und etwaige Rückmeldung bei Zweifeln hieran entspreche auch der Anweisungslage im Büro des Prozessbevollmächtigten, der im Übrigen nicht nur stichprobenartig selbst die Zustellbestätigungen über die Versendung fristgebundener Schriftsätze überprüfe, sondern darüber hinaus mittels des Postausgangs in der verwendeten Kanzleisoftware "RA Micro" die erfolgreiche Versendung von Schriftsätzen überprüfe, wobei im Falle der Berufungsbegründung vom 06.02.2023 ein "grünes Häkchen" angezeigt gewesen sei. Die Anweisungslage in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten zur Prüfung der Zustellnachweise entspreche der Empfehlung der Bundesrechtsanwaltskammer. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung und Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgesuchs wird jeweils auf den Inhalt der Schriftsätze vom 10.03.2023 (Bl. 69 ff. GA) und vom 30.06.2023 (Bl. 108 ff. GA) nebst Anlagen verwiesen.
II. Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 1 ZPO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht rechtzeitig begründet worden ist.
1. Gemäß § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO beginnt die zweimonatige Frist zur Begründung der B...