Leitsatz (amtlich)
Ein schuldhaftes Ausbleiben des Angeklagten liegt auch dann vor, wenn eine geistige Abwesenheit infolge schuldhafter Trunkenheit zu seiner Verhandlungsunfähigkeit führt. Das Verschulden muss jedoch zweifelsfrei festgestellt werden.
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Entscheidung vom 28.08.2006) |
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 28.08.2006 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
Gründe
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 07.02.2007 folgendes ausgeführt:
I.
Das Amtsgericht Bielefeld hat den Angeklagten mit Urteil vom 22.07.2005 (Bl. 66 d. A.) wegen Diebstahls geringwertiger Sachen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die hiergegen form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Angeklagten (Bl. 69 d. A.) hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil vom 28.08.2006 (Bl. 119 d. A.) gem. § 329 StPO verworfen, nachdem der Angeklagte zwar im Hauptverhandlungstermin erschienen war, jedoch in einem stark betrunkenen Zustand. Gegen dieses seinem Verteidiger am 28.09.2006 zugestellte (Bl. 134 d. A.) Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 31.08.2006, der am 01.09.2006 bei dem Landgericht Bielefeld eingegangen ist (Bl. 126 d. A.), neben einem gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Revision eingelegt, die er mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom 30.10.2006, der am selben Tag bei dem Landgericht Bielefeld eingegangen ist (Bl. 156 d. A.), begründet hat. Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Landgericht mit Beschluss vom 02.10.2006 (Bl. 130 d. A.) verworfen.
II.
Die neben dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statthafte Revision (§§ 329 Abs. 3, 342 StPO) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache ist ihr ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht zu versagen.
Die erhobene formelle Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO, dass die Voraussetzungen für eine Verwerfung mangels schuldhafter Abwesenheit von der Hauptverhandlung nicht vorgelegten hätten, ist zulässig erhoben worden. Insoweit reicht es aus, wenn die Tatsachen, die eine genügende Entschuldigung begründen sollen, schlüssig vorgetragen werden, wonach das Gericht zu Unrecht von einer ungenügenden Entschuldigung ausgegangen sein soll. Einer Mitteilung der tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils bedarf es nicht (Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 329 Rdnr. 48; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10.01.1996 - 2 Ss 4/06 -). An die Zulässigkeit der Verfahrensrüge sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Ergibt sich aus dem Verwerfungsurteil, dass der Angeklagte Entschuldigungsgründe vorgebracht hat, so reicht es aus, darzulegen, das Berufungsgericht habe das Ausbleiben nicht als unentschuldigt ansehen dürfen. In einem solchen Fall wäre es formalistisch, die Zulässigkeit der Verfahrensrüge von einer Wiederholung des Urteilsinhalts abhängig zu machen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.09.1989 - 5 Ss 352/89 - 134/89 I m. w. N.).
Die sich demnach als zulässig erweisende formelle Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO ist in der Sache auch begründet. Eine Verwerfung nach dieser Vorschrift ist nur zulässig, wenn das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt ist, wobei es nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung allein darauf ankommt, ob der Angeklagte genügend entschuldigt ist, nicht jedoch darauf, ob er sich genügend entschuldigt hat.
Ein schuldhaftes Ausbleiben des Angeklagten liegt auch dann vor, wenn eine geistige Abwesenheit infolge schuldhafter Trunkenheit zu seiner Verhandlungsunfähigkeit führt (Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 14 m. w. N.). Vorliegend hat das Landgericht zwar den Begriff der Verhandlungsunfähigkeit nicht verkannt, da sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass der Angeklagte auch nicht ansatzweise in der Lage war, der Hauptverhandlung zu folgen. Hingegen ist in dem Urteil nicht dargelegt worden, dass die Trunkenheit von dem Angeklagten auch verschuldet war. Das Verschulden muss im Falle einer Verwerfung gem. § 329 StPO von dem Gericht zweifelsfrei festgestellt werden. Verbleiben Zweifel, ist von einer Verwerfung abzusehen. Daraus folgt im Falle einer dem Gericht bekannten Alkoholkrankheit des Angeklagten, dass es sich auch mit der Frage auseinandersetzen muss, ob der Angeklagte sich zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung in einer Trinkphase mit fehlender Steuerungsfähigkeit befand, oder ob er in der Lage gewesen wäre, seinen Alkoholkonsum zu kontrollieren. Zu dieser Frage lässt das Urteil des Landgerichts jedoch jegliche Ausführungen vermissen. Die Alkoholabhängigkeit des Angeklagten war dem Gericht bekannt. Dies ergibt sich aus den Ausführungen, wonach der Angeklagte einen "Rückfall" gehabt habe. Ebenso weist die...