Leitsatz (amtlich)
Wird in der Hauptverhandlung über den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ein bereits von der Verwaltungsbehörde bei Erlass eines neuen Bußgeldbescheides aufgehobener Bußgeldbescheid verlesen, so hindert dies nicht die verjährungsunterbrechende Wirkung bestimmter späterer Verfahrensverhandlungen, wenn allen Beteiligten klar ist, um welchen Bußgeldbescheid es geht und die Tat, die beiden Bußgeldbescheiden zu Grunde liegt, identisch ist.
Verfahrensgang
AG Minden (Aktenzeichen 15 OWi 847/06) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Minden zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Landrat des Kreises N hat am 05.07.2006 gegen den Betroffenen wegen einer am 19.04.2006 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung einen Bußgeldbescheid erlassen, in dem eine Geldbuße von 275 Euro sowie ein Fahrverbot von zwei Monaten festgesetzt worden ist. Hiergegen hat der Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt. Der von ihm beauftragte Verteidiger hat eine Vollmacht vorgelegt, in der es u.a. heißt:
"Diese Vollmacht erstreckt sich insbesondere auf folgende Befugnisse: 1) Verteidigung und Vertretung in Bußgeldsachen und Strafsachen in allen Instanzen, auch für den Fall der Abwesenheit (...)".
Mit Schriftsatz vom 31.07.2007 hat der Verteidiger eine Geschwindigkeitsüberschreitung eingeräumt, wendete sich aber insbesondere gegen das Fahrverbot. Daraufhin hat der Landrat am 06.11.2006 einen neuen Bußgeldbescheid - unter Aufhebung des bisherigen -erlassen, in dem die Geldbuße auf 415 Euro und das Fahrverbot auf einen Monat festgesetzt worden ist. Auch hiergegen hat der Betroffene durch seinen Verteidiger fristgerecht Einspruch eingelegt. Am 20.11.2006 hat der Landrat die Sache daraufhin über die StA Bielefeld an das AG Minden abgegeben - wo sie am 30.11.2007 eintrafen - und den Betroffenen hiervon benachrichtigt. In dem Abgabeschreiben heißt es u.a. : "Ihr Einspruch vom 17.11.2006 gegen den Bußgeldbescheid vom 06.11.2006 ist form- und fristgerecht eingelegt worden". Am 11.01.2007 und am 18.01.2007 hat das Amtsgericht Minden Termin zur Hauptverhandlung anberaumt.
Der erste Hauptverhandlungstermin fand am 28.02.2007 in Abwesenheit des Angeklagten statt. Im Protokoll heißt es: "Der Bußgeldbescheid vom 05.07.2006 wurde verlesen". Nach Einholung eines Gutachtens hat das Amtsgericht am 14.05.2007 und am 11.06.2007 neuen Hauptverhandlungstermin auf den 25.07.2007 anberaumt. Mit Schriftsatz vom 24.07.2007, per Telefax am gleichen Tage beim Amtsgericht eingegangen, hat der Verteidiger beantragt, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Die Fahrereigenschaft sei unstreitig, weitere Einlassungen werde er nicht abgeben. Im Hauptverhandlungstermin, zu dem der Betroffene nicht erschienen war, hat das Amtsgericht abgelehnt, den Betroffenen von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden und den Einspruch verworfen, weil der Betroffene unentschuldigt dem Termin ferngeblieben sei, die von ihm vorgetragenen Gründe keine ausreichende Entschuldigung darstellten und mit Rücksicht auf die Ausführungen des Verteidigers, dass die "Konkretisierung des Tatorts nicht konkret sei" die Vernehmung des Betroffenen und damit sein Erscheinen zwingend notwendig sei.
II.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in Ihrer Antragsschrift u. a. Folgendes ausgeführt:
"Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und führt zu einem - zumindest vorläufigen - Erfolg.
Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Gesetzeswidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht und damit auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, entspricht den Anforderungen des § 79 Abs. 3 i. V. m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Nach den genannten Vorschriften muss bei einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft. Wird die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt, muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoß gegen Artikel 103 Abs. 1 GG vorliegt. In diesem Fall obliegt es dem Betroffenen, darzulegen, aus welchen Gründen das Gericht seinem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG hätte stattgeben müssen. Der Betroffene muss also darlegen, aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts unter keinen Umständen hätte erwarten dürfen. Hierzu ist es erforderlich, den im Bußgeldbescheid erhobenen Tatvorwurf und die konkrete Beweislage im Einzelnen vorzutragen. In diesem Zusammenhang ist in aller Regel auch darzulegen, wann und mit welcher Begründung der Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestellt worden ist und wie das Gericht di...