Entscheidungsstichwort (Thema)

Besondere Sicherungsmaßnahme. Videoüberwachung. Feststellungsinteresse

 

Leitsatz (amtlich)

Die Anordnung der Sicherungsmaßnahme einer Unterbringung des Betroffenen in einem Beobachtungsraum mit - dauerhafter - Videoüberwachung im Sinne des § 69 Abs. 1 und 2 Nr. 2 StVollzG NRW stellt einen schwer wiegenden Grundrechtseingriff dar und begründet ohne weiteres ein Interesse gemäß § 115 Abs. 3 StVollzG (Bund) an der nachträglichen Feststellung einer etwaigen Rechtswidrigkeit der Maßnahme.

 

Normenkette

StVollzG § 115 Abs. 3; StVollzG NRW § 69 Abs. 1; StVollzG NRW § 69 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Hagen (Aktenzeichen 62 StVK 22/17)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Gegen den Betroffenen ist eine Einheitsjugendstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten zu vollstrecken, im Anschluss daran ist die Vollstreckung einer weiteren Freiheitsstrafe von 3 Jahren vorgesehen. Das voraussichtliche Strafende ist derzeit auf den 27.09.2022 notiert. Nach Herausnahme aus dem Jugendstrafvollzug befindet sich der Betroffene seit dem 27.04.2017 in der JVA I, um dort am Einweisungsverfahren teilzunehmen. Am 08.05.2017 wurde der Betroffene dem Anstaltsarzt zur Zugangsuntersuchung vorgeführt, der aus gesundheitlichen Gründen Bedenken gegen eine Einzelunterbringung erhob, so dass der Betroffene, der eine gemeinschaftliche Unterbringung ablehnte, am 09.05.2017 auf einem Beobachtungshaftraum mit Türspion und seit dem 10.05.2017 auf einem solchen mit Videoüberwachung untergebracht wurde. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 10.05.2017 begehrte der Betroffene, die JVA I zu verpflichten, ihn sofort in einem "normalen" Einzelhaftraum unterzubringen. Nachdem die JVA I mitteilte, dass die Sicherungsmaßnahme der Unterbringung in einem visuell überwachten Einzelhaftraum aus medizinischen Gründen am 12.05.2017 aufgehoben worden sei und sich daher der Antrag des Betroffenen erledigt habe, beantragte dieser nunmehr die Feststellung, dass die gegen ihn vollzogen Sicherungsmaßnahmen rechtswidrig gewesen seien. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Betroffenen als unzulässig mangels Feststellungsinteresses zurückgewiesen und hierzu ausgeführt, dass der Betroffene kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit dargetan habe und ein solches auch nicht ersichtlich sei. Die Unterbringung in einem Beobachtungshaftraum stelle keine menschenunwürdige Unterbringung dar, so dass kein tiefgreifender Grundrechtseingriff ersichtlich sei. Eine Entscheidung über den Feststellungsantrag erfolgte nicht. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde vom 06.07.2017.

Das Ministerium der Justiz hat beantragt, die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrundes als unzulässig zu verwerfen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde (§ 118 StVollzG) erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache vorläufig Erfolg, insofern der angefochtene Beschluss bezüglich des bislang nicht beschiedenen Feststellungsantrags aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Hagen zurückzuverweisen war.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfolgt die Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat. So liegt der Fall hier, insofern die Argumentation im angefochtenen Beschluss, dass der Betroffene ein Feststellungsinteresse nicht dargelegt habe und ein solches im übrigen bei der Unterbringung in einem Beobachtungshaftraum mit Türspion und Beobachtung in 15minütigen Abständen sowie einem Beobachtungshaftraum mit Videoüberwachung auch nicht ersichtlich sei, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Es ist zu besorgen, dass die Strafvollstreckungskammer auch zukünftig in gleichgelagerten Fällen insoweit einen rechtlich unzutreffenden Maßstab anlegen wird.

Das Feststellungsinteresse bedeutet kein rechtliches, sondern ein schutzwürdiges Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. In der Rechtsprechung haben sich drei Fallgruppen herausgebildet, bei denen ein solches Interesse bejaht werden kann: Bei einem Rehabilitationsinteresse aufgrund des diskriminierenden Charakters der beanstandeten Maßnahme, bei konkreter Wiederholungsgefahr und zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses (vgl. Senatsbeschluss v...

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