Leitsatz (amtlich)
1. Das für die Feststellung eines Rechtsverhältnisses notwendige rechtliche Interesse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO lässt sich nicht schon daraus herleiten, dass eine in der Vergangenheit getroffene Maßnahme (hier: Sperre eines Nutzerkontos auf einer Social-Media-Plattform) gegenwärtige tatsächliche Folgen hatte (hier: die Speicherung eines Verstoßes gegen Nutzungsbedingungen im Datenbestand des Social-Media-Betreibers). Es greift auch insoweit der Vorrang der Leistungsklage.
2. Der Betreiber einer Social-Media-Plattform ist berechtigt, in seinen Nutzungsbedingungen neben dem Verbot strafbarer und rechtswidriger Inhalte auch das Teilen von sog. Hassnachrichten ("Hassrede") zu untersagen. Klauseln, welche verbieten, bestimmte Personen oder Personengruppen aufgrund bestimmter geschützter Eigenschaften als minderwertig herabzusetzen, sind danach weder als überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB zu werten noch stellen sie eine unangemessene Benachteiligung der Plattform-Nutzer i.S.d. § 307 BGB dar. Soweit der Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG überhaupt eröffnet ist, greifen gegenüber dem Plattform-Betreiber nicht allein die Schranken aus Art. 5 Abs. 2 GG. Vielmehr wirken die Grundrechte des Plattform-Nutzers gegenüber dem Social-Media-Betreiber nur mittelbar und sind gegen dessen Grundrechte aus Art. 12, 14 GG abzuwägen (Wechselwirkung), mit der Folge, dass dessen unternehmerische Entscheidungen Eingriffe in die Meinungsfreiheit rechtfertigen können, wenn dafür sachliche Gründe bestehen.
3. Der Betreiber einer Social-Media-Plattform ist danach berechtigt, in seinen Nutzungs-bedingungen für den Fall verbotener Inhalte Maßnahmen wie das Löschen von Beiträgen oder die (zeitweilige) Sperre eines Nutzer-Accounts vorzusehen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist dabei gewahrt, wenn die Nutzungsbedingungen die Sanktionen an der Schwere des jeweiligen Verstoßes ausrichten.
Normenkette
BGB § 305c Abs. 1, § 307; GG Art. 5 Abs. 1-2, Art. 12, 14; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Aktenzeichen 4 O 363/18) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
Gründe
I. Die Beklagte bietet die Dienste der Internet-Plattform G in Europa an. Der Kläger meldete bei ihr im Jahr 2012 ein persönliches Nutzer-Konto an (G-Profil) und nutzt dieses seither. Mit seiner Registrierung erklärte der Kläger sein Einverständnis zur Geltung der seinerzeit von der Beklagten aufgestellten "Erklärung der Rechte und Pflichten" (Anlage K 21) sowie der Sonderbedingungen für Deutschland (Anlage K 23), auf deren Inhalt verwiesen wird. Im April 2018 stellte die Beklagte neue Nutzungsbedingungen (Anlage K 1) auf, mit denen sie auf ihre aktualisierten "Gemeinschaftsstandards" verwies (Anlage K 3).
Zu den Verhaltensregeln für Nutzer heißt es in den Nutzungsbedingungen einleitend:
Wir beschäftigen weltweit spezielle Teams und entwickeln fortschrittliche technische Systeme, um Missbrauch unserer Produkte, schädliches Verhalten gegenüber anderen und Situationen aufzudecken, in denen wir möglicherweise dazu beitragen können, unsere Gemeinschaft zu unterstützen und zu schützen. Wenn wir von derartigen Inhalten oder Verhaltensweisen erfahren, werden wir geeignete Maßnahmen ergreifen, z. B. indem wir Hilfe anbieten, Inhalte entfernen, den Zugriff auf bestimmte Features sperren, ein Konto deaktivieren oder Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden aufnehmen.
Zu den Verpflichtungen der Nutzer ist unter Ziffer 3 der Nutzungsbedingungen weiter aufgeführt:
2. Was du auf G teilen und tun kannst
Wir möchten, dass Menschen G nutzen, um sich auszudrücken und Inhalte zu teilen, die ihnen wichtig sind. Dies darf jedoch nicht auf Kosten der Sicherheit und des Wohlergehens anderer oder der Integrität unserer Gemeinschaft erfolgen. Du stimmst deshalb zu, dich nicht an den nachfolgend beschriebenen Verhaltensweisen zu beteiligen (oder andere dabei zu fördern oder zu unterstützen):
1. Du darfst unsere Produkte nicht nutzen, um etwas zu tun oder zu teilen, auf das Folgendes zutrifft:
Es verstößt gegen diese Nutzungsbedingungen, unsere Gemeinschaftsstandards und sonstige Bedingungen und Richtlinien, die für deine Nutzung von G gelten.
Es ist rechtswidrig, irreführend, diskriminierend oder betrügerisch.
Es verletzt bzw. verstößt gegen die Rechte einer anderen Person.
(...)
Weiter heißt es zu den Folgen möglicher Verstöße:
Wir können Inhalte entfernen, die du unter Verstoß gegen diese Bestimmungen geteilt hast, sowie gegebenenfalls aus den nachfolgend beschriebenen Gründen Maßnahmen bezüglich deines Kontos ergreifen. Wir können außerdem dein Konto deaktivieren, wenn du wiederholt die geistigen Eigentumsrechte anderer Personen verletzt.
Dabei ist der Passus "nachfolgend beschriebenen Gründen" mit Ziffer 4.2 der Nutzungsbestimmungen verlinkt. Ziffer 4 enthält folgende Regelungen:
4. Zusätzliche Bestimmungen
1. Aktualisierung unserer Nutzungsbedi...