Entscheidungsstichwort (Thema)

Untersuchungshaft. Wiederholungsgefahr. Beschleunigung. Verfahrensverzögerung. Terminierung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur gebotenen Zahl und Dichte von gerichtlichen Terminsvorschlägen für eine anstehende Hauptverhandlung in einer Haftsache mit mehreren Angeklagten, in der bereits eine erste Abstimmung von gemeinsamen freien Terminen der Verteidiger gescheitert war.

2. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare justizseitige Verzögerungen verursacht ist. Eine Verursachung durch vermeidbare Verzögerungen liegt indes dann nicht vor, wenn die Verzögerung auch dann - durch nicht justizseitig verursachte Umstände - eingetreten wäre, wenn das Gericht das Verfahren hinreichend gefördert hätte.

 

Normenkette

StPO §§ 112, 112a, 121-122

 

Tenor

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte ist am 03.03.2022 festgenommen worden und befindet sich seit demselben Tag aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Essen vom 02.03.2022 (Az.: 66 Gs 195/22) ununterbrochen in Untersuchungshaft. In dem Haftbefehl ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, sich als Heranwachsender am 00.02.2022 in A wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4 und 5, 226 Abs. 1 Nr. 1, 52 StGB, §§ 1, 105 JGG strafbar gemacht zu haben.

Konkret sollen der Angeklagte und der Geschädigten B sich in den Tagen vor der Tat gegenseitig beleidigt haben. Als der Geschädigte am Tattag den Schulhof der (..)schule C gegen 20 Uhr aufsuchte, auf welchem sich der Angeklagte mit drei Begleitern befand, um den Streit im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung zu klären, soll der Angeklagte zunächst unvermittelt auf den Geschädigten losgegangen sein und versucht haben, den Geschädigten mit einer Flasche zu schlagen. Anschließend soll er versucht haben, die Flasche auf den Geschädigten zu werfen, wobei er sein Ziel allerdings verfehlte. Der Geschädigte soll hierauf geflüchtet sein und von dem Angeklagten und seinen Begleitern verfolgt und eingekesselt worden sein. Sodann soll der Angeklagte eine weitere Flasche zerschlagen und mindesten zweimal mit dem abgebrochenen Flaschhenhals in Richtung des Auge des Geschädigten gestoßen haben. Hierdurch soll der Sehnerv des Geschädigten so stark verletzt worden sein, dass dieser seine Sehkraft nicht wieder erlangen wird. Der Haftbefehl ist auf die Haftgründe der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) sowie der Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO) gestützt. Der Angeklagte sei insbesondere bereits wegen räuberischen Diebstahls verurteilt und gegen ihn seien weiterhin Anklagen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung mittels eines Totschlägers sowie tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte erhoben worden.

Auf den Haftprüfungsantrag des Angeklagten vom 16.03.2022 hat das Amtsgericht Gelsenkirchen am 25.03.2022 die Aufrechtungerhaltung des Haftbefehls aus den Gründen seiner Anordnung beschlossen und in den Gründen ausgeführt, dass ein dringender Tatverdacht nicht wegen vollendeter, sondern versuchter schwerer Körperverletzung bestehe, da sich zum jetztigen Zeitpunkt noch nicht sicher beurteilen lasse, in welchem Umfang der Geschädigte seine Sehkraft verloren habe.

Nach Durchführung der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Essen am 23.05.2022 Anklage vor dem Landgericht Essen - Jugendkammer - erhoben und dem Angeklagten eine schwere Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie den Mitangeklagten D und E eine Beihilfe hierzu vorgeworfen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung in der Anklageschrift vom 23.05.2022 Bezug genommen. Am 02.06.2022 hat der Vorsitzende der XXIV. großen Strafkammker - Jugendkammer - die Zustellung der Anklageschrift verfügt und eine Stellungnahmefrist von drei Wochen gesetzt, wobei übersehen wurde, dass sich auch bereits für den Angeklagten D ein Verteidiger zur Akte gemeldet hatte. Die Anklageschrift wurde den Verteidigern des Angeklagten und des Mitangeklagten E am 08.06.2022 und 09.06.2022 und dem Angeklagten D und seinen Eltern am 09.06.2022 zugestellt. Eine Zustellung an den Angeklagten E und seine Mutter erfolgte nicht, da als Anschrift noch eine Jugenschutzstellte notiert war, in welcher sich der Mitangeklagte E nicht mehr aufhielt.

Am 18.07.2022 vermerkte der Berichterstatter, dass er bis zum Tag zuvor krank gewesen sei und ihm die Akte nunmehr das erste Mal vorgelegen habe. Ein Entscheidung zu einem früheren Zeitpunkt sei der Kammer aufgrund zahlreicher laufender Verfahren sowie der Erkrankungen des Vorsitzenden und dessen Stellvertreter Richters bis zum gestrigen Tage sowie in Anbetracht der angezeigten Kammerüberlas...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?