Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Wege einstweiliger Anordnung bei (beabsichtigter) Auswanderung eines Elternteils mit den Kindern
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei beabsichtigter Auswanderung eines Elternteils mit dem Kind sind neben der Kindeswohlprüfung die beiderseitigen Elternrechte abzuwägen, wobei die allgemeine Handlungsfreiheit des auswanderungswilligen Elternteils die tatsächliche Ausgangslage der Abwägung bestimmt.
2. Maßgebliche Kriterien im Rahmen der entscheidenden Kindeswohlprüfung sind die Erziehungseignung der Eltern, die kindlichen Bindungen, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie der Kindeswille.
Normenkette
BGB § 1626a Abs. 1 Nr. 1, § 1671 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3, § 1666 Abs. 1; FamFG § 49 Abs. 1, § 57 S. 2 Nr. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
AG Steinfurt (Beschluss vom 03.09.2010; Aktenzeichen 29 F 365/10) |
Tenor
Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den am 3.9.2010 verkündeten Beschluss des AG - Familiengericht - Steinfurt wird zurückgewiesen.
Dem Kindesvater wird im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder D T1, geboren am 18.8.1999, sowie M T1, geboren am 6.3.2001, übertragen.
Die vom AG in dem am 3.9.2010 verkündeten Beschluss getroffenen Anordnungen betreffend das Ausreiseverbot der beiden vorgenannten Kinder (Abs. 3 des Tenors der Entscheidung) werden aufgehoben.
Diese einstweilige Anordnung tritt bei Wirksamwerden einer anderweitigen Regelung außer Kraft.
Es verbleibt bei der Kostenentscheidung erster Instanz.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Beteiligten zu 1) und 2) lebten von 1999 bis November 2003 in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft in N zusammen, aus der die am 18.8.1999 geborene D und der am 6.3.2001 geborene M hervorgingen. Für beide Kinder haben die Beteiligten zu 1) und 2) gemeinsame Sorgeerklärungen gem. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben.
Die Beteiligten trennten sich im November 2003 und die Kinder blieben bei der Kindesmutter. Es fanden wöchentliche Besuchskontakte an den Wochenenden beim Kindesvater statt, der im Jahr 2008 nach T-C verzog.
Die Kindesmutter war in Deutschland bis zum 15.11.2010 als Rechtsanwältin zugelassen und arbeitete seit Januar 2010 "juristisch, mediatorisch und vertragsverhandelnd" in "verschiedenen ausländischen Unternehmen", u.a. für die Firma F mit Hauptsitz in J. Ab Juli 2010 unterbrach sie diese Tätigkeit, weil sie zunächst erkrankte und sich ab September 2010 wieder in Deutschland aufhielt.
Die Kindesmutter hat seit Anfang 2008 einen Lebensgefährten, K X, der von Beruf Ingenieur ist und verschiedene Unternehmen im Bereich regenerative Energien betreibt. Aus der Beziehung ging die im Juni 2009 geborene F1 K hervor.
Der Kindesvater ist gelernter Diplom-Betriebswirt und Inhaber einer Firma, die verschiedene Wohnimmobilien besitzt und Wohnungen verwaltet. Darüber hinaus ist er hälftiger Anteilseigner der A. & A. L GmbH + D. KG. Für die Firmen ist er ungefähr eine Stunde pro Tag tätig. Der Kindesvater lebt in unmittelbarer Nähe zu seinen Eltern in einem eigenen Haus.
Zwischen den Beteiligten zu 1) und 2) war bereits in 2009 ein Sorgerechtsverfahren beim AG N anhängig (39 F 73/09), das der Kindesvater eingeleitet hatte, weil er befürchtete, dass die Kindesmutter mit den Kindern nach N auswandern wolle. Dieses Verfahren erklärten der Beteiligte zu 2) am 31.8.2009 und die Beteiligte zu 1) am 2.11.2009 für erledigt.
Die Kindeseltern trafen im Dezember 2009 gemeinsam die Entscheidung, die Kinder ab Januar 2010 aus den Schulen abzumelden. Zur Begründung gaben sie an, die Kindesmutter werde aufgrund einer neuen beruflichen Situation ihren Lebensmittelpunkt mit den Kindern ins Ausland verlegen. Der genaue weitere Inhalt der Vereinbarung ist zwischen den Beteiligten streitig.
Die Kindesmutter begab sich mit den Kindern und ihrem Lebensgefährten im Januar 2010 auf eine mehrmonatige Reise, die sie zunächst den Rhein entlang, über die Schweiz, nach Mailand, Pisa, Rom, Pompeji und schließlich bis nach Sizilien führte. Dort wechselte die Familie auf ein Segelboot, mit dem sie durch das Mittelmeer fuhr.
D besuchte den Kindesvater vom 4.6.2010 bis 29.7.2010, M besuchte den Kindesvater vom 22.7.2010 bis 28.8.2010.
Im Juli 2010 gab es mehrfach Email-Kontakt zwischen den Kindeseltern. Der Kindesvater meldete die Kinder auf Schulen in C an. Dem widersprach die Kindesmutter ggü. dem Kindesvater und ggü. den Schulen ausdrücklich. Am 28.7.2010 übersandte die Kindesmutter dem Kindesvater einen "Bildungsentwurf" ab Sommer 2010, in dem sie für beide Kinder "unter Berücksichtigung der jeweiligen Lehrpläne" zum Sommer 2011 den "Bildungsstand Ende 5. Klasse" erreichen wollte und zwar "mittels Internetschule und/oder eigens angeschafften Lehrmaterialien, Einschaltung von Privatlehrkörpern, Fremdsprachenschulen".
Am 19.8.2010 leitete der Kindesvater das vo...