Leitsatz
Das OLG Hamm hat sich in dieser Entscheidung eingehend mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für zwei minderjährige Kinder in einem Auswanderungsfall auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Die Kindeseltern hatten von 1999 bis November 2003 in nichtehelicher Gemeinschaft zusammengelebt. Aus ihrer Beziehung waren zwei in den Jahren 1999 und 2003 geborene Kinder hervorgegangen. Für beide Kinder hatten die Eltern gemeinsame Sorgeerklärungen gemäß § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben.
Nach der Trennung der Eltern im November 2003 blieben die Kinder bei der Mutter. Der Vater hatte an den Wochenenden Besuchskontakt mit ihnen.
Aus einer neuen Beziehung der Mutter ging eine im Juni 2009 geborene Tochter hervor.
Die Eltern trafen im Dezember 2009 übereinstimmend die Entscheidung, die beiden Kinder ab Januar 2010 aus den Schulen abzumelden und gaben zur Begründung an, die Mutter werde aufgrund einer neuen beruflichen Situation ihren Lebensmittelpunkt mit den Kindern ins Ausland verlegen. Der genaue weitere Inhalt der Vereinbarung war zwischen den Eltern streitig.
Die Mutter begab sich im Januar 2010 mit ihrem neuen Lebensgefährten und den drei Kindern auf eine mehrmonatige Auslandsreise. Im August 2010 beantragte der Vater den Erlass einer einstweiligen Anordnung und begehrte damit u.a. die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich, die Mutter stellte einen gegenläufigen Antrag.
Das FamG hat sodann die Eltern und eines der Kinder persönlich angehört, nicht jedoch das andere Kind, das sich seinerzeit in Griechenland aufhielt.
Mit Beschluss vom 3.9.2010 hat das AG die gegenläufigen Anträge beider Eltern zum Aufenthaltsbestimmungsrecht zurückgewiesen und der Mutter auferlegt, dafür Sorge zu tragen, dass sich das andere Kind binnen einer Woche wieder in Deutschland aufhalte. Beiden Eltern wurde untersagt, die Kinder außer Landes zu bringen.
Gegen diesen Beschluss wehrte sich die Mutter mit der Beschwerde und begehrte auch weiterhin die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für beide Kinder auf sich.
Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.
Entscheidung
Das OLG hat die Beschwerde der Kindesmutter zurückgewiesen und dem Vater im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder übertragen. Das Ausreiseverbot der beiden Kinder wurde aufgehoben.
Obgleich der Vater selbst keine Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss eingelegt hatte, hat das OLG ihm von Amts wegen gemäß §§ 1671 Abs. 3, 1666 Abs. 1 BGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen. Das AG habe die Anträge der Eltern nicht zurückweisen dürfen, weil hinsichtlich der Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden i.S.d. § 49 Abs. 1 FamFG bestanden habe, das auch nicht durch die vom AG getroffenen Maßnahmen wie Einreisegebot und Ausreiseverbot beseitigt worden sei.
Bei beabsichtigter Auswanderung eines Elternteils mit den Kindern sei Prüfungsmaßstab das Kindeswohl. Ferner seien die beiderseitigen Elternrechte aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG abzuwägen. Die allgemeine Handlungsfreiheit des auswanderungswilligen Elternteils bestimme die tatsächliche Ausgangslage der Abwägung.
Es sei primär zu prüfen, wie sich die Auswanderung auf das Kindeswohl auswirke. Wenn hiermit für die Kinder schädliche Folgen verbunden seien, sei die Erziehungseignung des betreuenden Elternteils in Zweifel zu ziehen. Es könne dann ggf. ein Entzug des Sorgerechts angebracht sein.
Einer Auswanderung stehe nicht ohne Weiteres die Regelung des § 1626 Abs. 3 S. 1 BGB entgegen. Auch aus einer wesentlichen Erschwerung des Umgangskontakts zu dem anderen Elternteil allein ergebe sich keine generelle oder vermutete Kindeswohlschädlichkeit. Für das Aufenthaltsbestimmungsrecht sei nicht primär entscheidend, welcher Elternteil das Kind vor der Trennung überwiegend betreut habe. Es sei eine umfassende Abwägung der im Einzelfall berührten Kindeswohlgesichtspunkte vorzunehmen. Dabei sei primär zu prüfen, ob die Auswanderung mit dem Elternteil oder der Verbleib des Kindes beim weiter im Inland ansässigen Elternteil die für das Kindeswohl bessere Lösung sei.
Dabei sei eine Lösung anzustreben, die bei Berücksichtigung der zukünftigen Entwicklung die Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Erziehung am wenigsten störe. Die Kinder hätten unter psychischem Druck der Mutter gestanden, so dass dem von ihnen geäußerten Kindeswillen eine ausschlaggebende Bedeutung nicht beigemessen werden könne.
Im Hinblick auf die vom BGH für erforderlich erachtete Prüfung, in welchem Umfang durch die Auswanderung Umstellungen für das Kind in seiner Lebenssituation verbunden seien und ob die hiermit einhergehenden Anforderungen von dem Kind ohne bleibende Defizite bewältigt werden könnten, hielt das OLG es im vorliegenden summarischen einstweiligen Anordnungsverfahren gerade wegen der problematischen Schulsituation beider Kinder für zwingend geboten, durch die von der Kindesmutter beabsichtigte Übersiedlung der Kinder nicht Tatsachen festsch...