Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflichtverteidiger. Vergütung. Verfahrensverbindung. hinzuverbundene Verfahren. Erstreckungsanordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Senat schließt sich der in der Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Auffassung an, wonach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG unmittelbar Anwendung findet, wenn Verfahren zunächst verbunden werden und danach die Bestellung als Pflichtverteidiger in dem (verbundenen) Gesamtverfahren erfolgt. Voraussetzung dafür, dass der Anwalt neben den Gebühren im führenden Verfahren auch weitere Gebühren für seine Tätigkeiten in den hinzuverbundenen Verfahren erhalten kann, ist aber, dass er in den hinzuverbundenen Verfahren vor der Verbindung tatsächlich tätig geworden ist. Einer Erstreckungsanordnung gemäß § 48 Abs. 6 S. 3 RVG bedarf es in diesen Fällen nicht.

 

Normenkette

RVG § 48 Abs. 6 Sätze 1, 3

 

Verfahrensgang

LG Siegen (Aktenzeichen 10 Qs 88/16)

 

Tenor

Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss wird dahingehend abgeändert, dass die dem Pflichtverteidiger Rechtsanwalt U aus L aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung auf 3.054,14 EUR festgesetzt wird.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

Gegen den damaligen Beschuldigten war unter dem Aktenzeichen 15 Js 697/15 bei der Staatsanwaltschaft Siegen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Diebstahls anhängig. Ferner wurden gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft Siegen zahlreiche weitere Ermittlungsverfahren wegen ähnlicher Tatvorwürfe geführt, die in der Folgezeit durch die Staatsanwaltschaft Siegen im laufenden Ermittlungsverfahren zu dem Verfahren 15 Js 697/15, das führend blieb, hinzuverbunden wurden: Am 06.10.2015 wurde das Verfahren 15 Js 718/15, am 01.12.2015 wurden die Verfahren 15 Js 706/15 und 15 Js 798/15, am 16.12.2015 wurde das Verfahren 15 Js 783/15 und zuletzt am 08.01.2016 das Verfahren 15 Js 695/15 mit dem Verfahren 15 Js 697/15 verbunden.

Bereits mit Fax-Schriftsatz vom 07.09.2015, der am selben Tag bei der Staatsanwaltschaft Siegen einging, hatte sich der Verteidiger Rechtsanwalt U in allen den Beschuldigten betreffenden Verfahren als Wahlverteidiger gemeldet und unter Beifügung einer schriftlichen Vollmacht vom 31.08.2015 Akteneinsicht beantragt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Siegen wurde Rechtsanwalt U durch Beschluss des Ermittlungsrichters beim Amtsgericht Siegen vom 01.03.2016 zum Pflichtverteidiger bestellt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Beschuldigte in anderer Sache in Strafhaft (vom 14.09.2015 bis zum 09.10.2016).

Mit Verfügung vom 12.05.2016 stellte die Staatsanwaltschaft Siegen das Ermittlungsverfahren gemäß § 154 Abs. 1 StPO wegen der zu erwartenden Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung in den Verfahren 33 Js 1218/15 und 33 Js 1776/15 der Staatsanwaltschaft Siegen vorläufig ein.

Mit Schriftsätzen vom 31.05.2016 zum führenden Verfahren und zu jedem der Ursprungsverfahren beantragte Rechtsanwalt U u. a. je eine Grundgebühr mit Zuschlag (4101 VV RVG) in Höhe von 192,00 EUR, eine Verfahrensgebühr mit Zuschlag (4105 VV RVG) in Höhe von 161,00 EUR sowie für alle Verfahren insgesamt 228 Kopien zu je 0,50 EUR sowie 30 Kopien zu je 0,15 EUR. Das Amtsgericht setzte die aus der Landeskasse zu zahlenden Vergütung auf 799,68 EUR für das Verfahren 15 Js 697/15 insgesamt fest, da es sich nach Hinzuverbindung der fünf weiteren Verfahren insgesamt nur noch um ein Verfahren handele. In den weiteren Verfahren sei weder vor Verbindung eine Beiordnung erfolgt noch sei die Beiordnung auf diese Verfahren erstreckt worden. Die festgesetzte Summe errechnete sich wie folgt:

4101 VV RVG

Grundgebühr mit Zuschlag

192,00 EUR

nur 1 x

4105 VV RVG

Verfahrensgebühr mit Zuschlag

161,00 EUR

nur 1 x

4141 VV RVG

Entbehrlichkeitsgebühr

132,00 EUR

7000 Nr. 1a VV RVG für sämtliche Kopien

258 Kopien

56,20 EUR

0,50 EUR für die ersten 50 Kopien und 0,15 EUR im übrigen

7002 VV RVG

Postpauschale

20,00 EUR

nur 1 x

7003 VV RVG

Fahrtkosten

58,80 EUR

7005 Nr. 2 RVG

Abwesenheitsgeld

40,00 EUR

Geschäftsreise in JVA Attendorn

Aktenversendungspauschale

12,00 EUR

nur 1 x

672,00 EUR

7008 VV RVG

19 % USt

127,68 EUR

799,68 EUR

Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21.06.2016 legte der Verteidiger Erinnerung ein und beantragte hilfsweise, die Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung auf die einzelnen Ermittlungsverfahren zu erstrecken, die zum dem führenden Verfahren 15 Js 697/15 hinzuverbunden worden waren. Der am 24.06.2016 eingegangenen Erinnerung vom 23.06.2016 half der Rechtspfleger mit Verfügung vom 19.08.2016 nicht ab. Das Amtsgericht Siegen wies die Erinnerung sowie den Antrag auf nachträgliche Erstreckung der Wirkung der Beiordnung auf die verbundenen Verfahren mit Beschluss vom 20.09.2016 zurück.

Gegen den ihm am 23.09.2016 zugestellten Beschluss legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 23.09.2016 Beschwerde ein und beantragte hilfsweise erneut, die Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung auf die hinzuverbundenen Verfahren zu erstrecken. Das Amtsgericht half der Beschwerde n...

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