Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungsinteresse bei Fesselung. erhöhte Fluchtgefahr i.S.v. § 88 Abs. 1 StVollzG. Voraussetzung von Fesselungen i.S.v. § 90 S. 2 StVollzG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Fesselung von Strafgefangenen begründet aufgrund des hiermit verbundenen erheblichen Grundrechtseingriffs und ihres diskriminierenden Charakters regelmäßig ein besonderes Feststellungsinteresse i.S.v. § 115 Abs. 3 StVollzG.
2. Besondere Fluchtgefahr i.S.v. § 88 Abs. 1 StVollzG setzt eine an konkreten Anhaltspunkten belegte und individuelle zu beurteilende Fluchtgefahr voraus, die über die allgemein bei Gefangenen naheliegende Fluchtvermutung hinaus geht und auch die gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG der Gewährung von Vollzugslockerungen entgegenstehende Fluchtgefahr übersteigt (im vorliegenden Fall verneint).
Normenkette
StVollzG §§ 115-116, 119, 88, 90
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 122 StVK 92/11) |
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
2. Der Beschluss des Landgerichts L vom 23.03.2011 wird aufgehoben.
3. Es wird festgestellt, dass die Fesselung der Betroffenen im Rahmen der Ausführungen am 23., 24. und 25. Januar 2011 sowie während des Krankentransportes am 25. Januar 2011 rechtswidrig war.
4. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Staatskasse.
5. Der Gegenstandswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I. Die # Jahre alte Betroffene verbüßt derzeit als Erstverbüßerin eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen Steuerhinterziehung aus dem Urteil des Landgerichts L vom #.#.# (#StA L). Nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses war die in dem Urteil ursprünglich ausgesprochene Strafaussetzung zur Bewährung durch Beschluss des Amtsgerichts L vom 08.11.2005 wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen (Schadenswiedergutmachung) widerrufen worden. Nachfolgend war der Betroffenen mit Blick auf ihre gesundheitliche Situation zunächst über mehrere Jahre mehrfach Strafaufschub gewährt worden. Nachdem nachfolgend indes die Versagung weiteren Strafaufschubes gerichtlich bestätigt worden war, setzte sich die Betroffene im Jahr 2009 nach P ab und legte von dort medizinische Gutachten vor, die ihre Haftunfähigkeit belegen sollten. Einem hierauf gestellten Auslieferungsersuchen der BRD gab die Republik P statt. Als dieses schließlich auch zwangsweise durchgesetzt werden sollte, tauchte die Betroffene zunächst unter. Sie stellte sich anschließend jedoch freiwillig den Deutschen Behörden. Zum Vollzug der Freiheitsstrafe stellte sich die Betroffene selbst am 13.12.2010 im JVK G. Nach ihrer Verlegung in die JVA L wurde die Betroffene wegen Blutdruckentgleisungen am 23.01.2011 in das G.hospital in L ausgeführt und am 24.01.2011 zunächst in die JVA L zurückverbracht. Noch am 24.01.2011 wurde die Betroffene erneut in das G.hospital in L zu weiteren Untersuchungen ausgeführt. Dort wurde am 25.01.2011 entschieden, die Betroffene in das JVK G zu verlegen. Während der Ausführungen in das G.hospital musste die Betroffene Fußfesseln tragen und war jeweils über Nacht mit Fußfesseln an das Krankenhausbett gefesselt. Der Transport in das JVK Fröndenberg wurde als Liegendtransport durchgeführt. Bei diesem wurde die Betroffene mit Gurten auf der Liege fixiert und zusätzlich mit Fußfesseln gefesselt. Während der gesamten Fahrt waren Justizvollzugsbeamte zugegen. Auf der Fahrt wurde der Krankenwagen in einen Verkehrsunfall verwickelt. Aufgrund dessen musste die Fahrt ca. 1 ½ Stunden unterbrochen werden. Auch während dieser Zeit blieb die Betroffene an die Liege festgegurtet und mit Fußfesseln gefesselt.
Seit dem 03.02.2011 befindet sich die Betroffene im offenen Vollzug.
Mit ihrem am 01.02.2011 eingegangenem Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Fesselungen während der Ausführungen am 23., 24. und 25. Januar und während des Krankentransportes begehrt.
Der Leiter der JVA L ist dem Antrag entgegen getreten. Er hat u.a. die Ansicht vertreten, nach der Verlegung in den offenen Vollzug bestehe mangels Wiederholungsgefahr kein Feststellungsinteresse mehr.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht L - Strafvollstreckungskammer - den Feststellungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, die vorliegend gemäß § 115 Abs. 5 StVollzG auf die Überprüfung von Ermessensfehlern beschränkte Prüfung der angeordneten Fesselungen lasse Ermessensfehler der JVA L nicht erkennen. Vielmehr sei die JVA L in Anbetracht des Umstandes, dass die Betroffene sich zunächst dem Strafvollzug habe entziehen wollen, zu Recht von erhöhter Fluchtgefahr i.S.v. § 88 Abs. 4 StVollzG ausgegangen. Dem Umstand, dass sich die Betroffene selbst zum Strafantritt gestellt habe, komme demgegenüber kein entscheidungsrelevantes Gewicht zu. Vielmehr sei die Einschätzung, die Verurteilte werde nach den ersten Hafterfahrungen die Ausführungen zur Flucht nutzen, nicht nur rechtsfehlerfr...