Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung der (missverständlichen) Erklärung des Angeklagten, der sich gegen ein gegen ihn ergangenes Urteil wendet.
Verfahrensgang
AG Lüdenscheid (Entscheidung vom 03.06.2002) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist als Berufung zu behandeln.
Gründe
I.
Der Angeklagte, der algerischer Staatsangehöriger und der deutschen Sprache kaum mächtig ist, ist durch Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 26. Februar 2002 wegen Diebstahls in zwei Fällen sowie wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hat der Pflichtverteidiger des Angeklagten am 27. Februar 2002 Berufung eingelegt. Am 4. März 2002 ging sodann beim Amtsgericht Lüdenscheid ein Schreiben des Angeklagten vom 28. Februar 2002 ein, in dem es heißt: "Hiermit lege ich rewision ein Bezugnehmend auf die Verhandlung am 26-02-002 beim Amtsgericht ludenscheid. "
Das Rechtsmittel ist nicht begründet worden. Das Amtsgericht hat das Rechtsmittel als Revision angesehen und im angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen, weil entgegen § 345 StPO eine fristgerechte Revisionsbegründung nicht erfolgt sei. Von den nach Ansicht des Amtsgericht sich widersprechende Rechtsmittelerklärungen des Verteidigers und des Angeklagten hat das Amtsgericht diejenige des Angeklagten als maßgebend angesehen.
Dagegen wendet sich der Angeklagte mit Schriftsatz seines jetzigen Verteidigers vom 24. Juni 2002, mit dem er "sofortige Beschwerde" gegen den Verwerfungs-Beschluss des Amtsgerichts erhoben hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag als unbegründet zu verwerfen.
II.
Der Antrag des Angeklagten vom 24. Juni 2002 ist auf Überprüfung des Verwerfungsbeschlusses des Amtsgerichts gerichtet und damit gemäß § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO auszulegen.
Dieser Antrag ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Nach § 346 Abs. 1 StPO kann das Tatgericht, dessen Urteil angefochten worden ist, eine gegen seine Entscheidung eingelegte Revision verwerfen, wenn diese verspätet eingelegt oder die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form angebracht worden sind. Der Angeklagte hat hier zwar hinsichtlich des von ihm eingelegten Rechtsmittels weder einen Revisionsantrag angebracht noch das Rechtsmittel in der Form des § 345 Abs. 2 StPO begründet. Gleichwohl berechtigte dies das Amtsgericht nicht zur Verwerfung des Rechtsmittels. Bei diesem handelt es sich nämlich nicht um eine nach § 335 Abs. 1 StPO grundsätzlich statthafte (Sprung-)Revision gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 26. Februar 2002, sondern um eine Berufung.
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass das Revisionsgericht seiner Verpflichtung, aufgrund eines Antrags nach § 346 Abs. 2 StPO die Frage der Zulässigkeit der Revision nach allen Richtungen und ohne die dem Tatgericht in § 346 Abs. 1 StPO auferlegten Grenzen zu überprüfen, nur genügen kann, wenn es zuvor die vorrangige Frage klärt, ob überhaupt eine (Sprung-)Revision im Sinne von § 335 Abs. 1 StPO vorliegt. Nur wenn dies der Fall ist, kann das Revisionsgericht, wenn es hinsichtlich der amtsgerichtlichen Entscheidung der Auffassung ist, dass die Voraussetzungen für eine Verwerfungsentscheidung nach § 346 Abs. 1 StPO nicht vorgelegen haben, diese Entscheidung aufheben und gegebenenfalls zur Überprüfung des angefochtenen Urteils selbst schreiten. Anderenfalls wäre dem Revisionsgericht diese Überprüfung verwehrt (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Januar 1997 in 2 Ss 1518/96 = StraFo 1997, 210, 211 = VRS 93, 113; so auch OLG Hamm NJW 1969, 1821; NJW 1956, 1168; Hanack, in: Löwe/Rosenberg, Großkommentar zur StPO, 25. Aufl. , § 346 Rn. 26; Kuckein, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl. , § 346 Rn. 21; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. , § 346 Rn. 10). Mit einer solchen Entscheidung greift das Revisionsgericht auch nicht unzulässigerweise in die Zuständigkeit des Berufungsgerichts ein. Es bringt - falls es das Rechtsmittel als Berufung auslegt - lediglich zum Ausdruck, dass eine Revision nicht eingelegt worden ist und diese daher auch nicht als unzulässig verworfen werden durfte. Die dem Berufungsgericht vorbehaltene Entscheidung, ob das Rechtsmittel als Berufung zulässig ist, bleibt hiervon unberührt.
Die demnach vom Senat vorzunehmende Auslegung des Rechtsmittels des Angeklagten vom 4. März 2002 führt dazu, dass es sich dabei - entgegen der Ansicht des Angeklagten - nicht um eine (Sprung-)Revision, sondern um eine Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 26. Februar 2002 handelt.
Hierbei verkennt der Senat nicht, dass grundsätzlich entsprechend § 297 StPO bei Widersprüchen zwischen Rechtsmittelerklärungen von Angeklagtem und Verteidiger der Wille des Angeklagten maßgebend ist, da Angeklagter und Verteidiger im Sinne von § 335 Abs. 3 StPO als derselbe Beteiligte gelten (vgl. BayObLGSt ...