Leitsatz (amtlich)
1. Gemäß § 239 Abs. 1 FamFG kann bei einer einseitig erstellten Jugendamtsurkunde jeder Teil eine Abänderung beantragen. Dies gilt auch für die Zeit nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, da der Unterhaltsanspruch des minderjährigen mit demjenigen des volljährigen Kindes identisch ist, so dass statische Titel über den Kindesunterhalt nach Erreichen der Volljährigkeit bis zu einer eventuellen Abänderung fortbestehen. Für dynamische Titel ist dies inzwischen ausdrücklich in § 244 FamFG geregelt.
2. Fehlt es an einer Vereinbarung der Beteiligten bei der Errrichtung der Jugendamtsurkunde, da diese einseitig erstellt wurde, so kann sich der Unterhaltspflichtige von seiner titulierten Unterhaltspflicht nur dann lösen, wenn sich eine nachträgliche Änderung der tatsächlichen Umstände, des Gesetzes oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf die Höhe seiner Unterhaltspflicht auswirken. Der Unterhaltspflichtige muss deshalb nicht nur vortragen, dass die bisherige Unterhaltsleistung für ihn wegen Änderung der Verhältnisse nach § 242 BGB unzumutbar geworden ist, sondern auch die seiner damaligen Verpflichtung nach Grund und Höhe zugrunde liegenden Umstände darlegen.
3. Lag bereits zur Zeit der Errichtung der Jugendamtsurkunden eine Unterschreitung des Selbstbehalts vor, ist der Unterhaltspflichtige hieran auch bei einer Anpassung an die geänderten Verhältnisse festzuhalten.
4. Verpflichtet sich der Unterhaltsschuldner in den Jugendamtsurkunden trotz aktuell nicht ausreichender Leistungsfähigkeit zu künftig steigenden Unterhaltsbeträgen, liegt in diesem Anerkenntnis regelmäßig eine Prognose dahingehend, dass er zur Zahlung der aufgrund der Titulierung zukünftig fälligen Unterhaltsbeträge in der Lage sein werde. Ändern sich jedoch die tatsächlichen Verhältnisse entgegen der prognostizierten Erwartung nicht mit der Folge, dass für zukünftige Zeiträume eingegangene höhere Unterhaltsverpflichtungen nicht geleistet werden können, so erweist sich die Prognose als nicht mehr tragfähig. In einem solchen Fall ist eine Bindungswirkung an die für deutlich erst in der Zukunft liegende Zeiträume eingegangene Unterhaltsverpflichtung nicht mehr gegeben.
Normenkette
FamFG §§ 239, 244; BGB §§ 242, 313, § 1601 ff.
Verfahrensgang
AG Lüdinghausen (Beschluss vom 27.01.2011; Aktenzeichen 14 F 170/09) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers sowie die Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin zu 1. wird der am 27.1.2011 verkündete Beschluss des AG - Familiengericht - Lüdinghausen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Die Urkunde über die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung (Beurkundungsregister-Nummer: 27/2006 der Kreisverwaltung D -Jugendamt) wird für die Zeit ab dem 1.2.2009 dahingehend abgeändert, dass der Antragsteller verpflichtet ist, an die Antragsgegnerin zu 1. Kin-desunterhalt in folgender monatlicher Höhe zu zahlen:
a) Februar 2009 263 EUR,
b) März bis Dezember 2009 230 EUR,
c) Januar bis März 2010 233 EUR,
d) 1.4. bis 12.7.2010 286 EUR,
e) 13.7. bis 31.12.2010 187 EUR,
f) ab 1.1.2011 176 EUR.
Die Urkunden über die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung (Beurkun-dungsregister-Nummern: 26/2006 und 25/2006 der Kreisverwaltung D - Jugendamt) werden für die Zeit ab dem 1.2.2009 bis zum 12.7.2010 dahingehend abgeändert, dass der Antragsteller verpflichtet ist, an die Antragsgegnerinnen zu 2. und 3. jeweils Kindesunterhalt in folgender monatlicher Höhe zu zahlen:
a) Februar 2009 214 EUR,
b) März bis Dezember 2009 230 EUR,
c) Januar bis März 2010 233 EUR,
d) 01.4. bis 12.7.2010 286 EUR.
Der weiter gehende Abänderungsantrag bleibt zurückgewiesen; die weiter gehende Beschwerde sowie die weiter gehende Anschlussbe-schwerde werden zurückgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges tragen der Antragsteller zu 6/10 und die Antragsgegnerinnen zu 4/10.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller 6/10 der Gerichtskosten und seiner eigenen außergerichtlichen Kosten so-wie der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu 1., ferner 2/3 der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerinnen zu 2. und 3. Die Antragsgegnerinnen zu 2. und 3. tragen 1/3 ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten sowie 1/3 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers - insoweit neben der Antragsgegnerin zu 1. Die Antragsgegnerin zu 1. trägt 4/10 ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten sowie - insoweit neben den Antragsgegnerinnen zu 2. und 3. - 4/10 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses wird angeordnet.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 8.184,39 EUR festgesetzt, davon entfallen 7.164,39 EUR auf die Beschwerde und 1020 EUR auf die Anschlussbeschwerde.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Abänderung der durch Jugendamtsurkunde jeweils titulierten Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers gegenüber seinen 3 Kindern für die Zeit ab Februar 2009.
Der am 16.1.1963 geborene Antragsteller und die am 18.6. 1964 gebore...