Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuwiderhandlung gegen Artikel 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 3820/85

 

Leitsatz (amtlich)

Durch Artikel 4 Nr. 6 VO (EWG) Nr. 3820/85 sind alle in der kommunalen Müllentsorgung eingesetzten Fahrzeuge privilegiert, gleichgültig ob sie von Behörden oder von entsprechenden privaten Unternehmen als Halter betrieben werden. Durch die VO (EWG) Nr. 3820/85 ist die zu Art. 4 Nr. 4 VO (EWG) Nr. 543/69 ergangene Entscheidung des EUGH vom 6.12.1979 (Rechtssache 47/79) überholt.

 

Normenkette

EWGV 3820/85 Art. 4 Nr. 6

 

Verfahrensgang

AG Steinfurt (Urteil vom 09.06.1988; Aktenzeichen 16 OWi 18 Js 716/88)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen hierfür entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

 

Gründe

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Zuwiderhandlung nach §§ 15 a Abs. 3, 69 a StVZO, § 24 StVG eine Geldbuße von 20,– DM festgesetzt.

Nach den Feststallungen wurde der Betroffene am 2. Februar 1988 von der Firma … – ein im Auftrage von Kommunalbehörden handelndes privates Müllantsorgungsunternehmen – als Fahrer eines Müllfahrzeugs (zulässiges Gesamtgewicht 22 t) eingesetzt. Er lenkte das Fahrzeug über einen Zeitraum von mehr als viereinhalb Stunden, ohne die Lenkzeit für mindestens 45 Minuten zu unterbrechen oder die Unterbrechungszeit in zulässiger Weise zu ersetzen. Das Amtsgericht sieht hierin zwar keine Zuwiderhandlung gegen Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 3820/85 [in dar Fassung vom 20.12.1985, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 370 v. 31.12.1985], meint aber, der Betroffene habe gegen § 15 a Abs. 3 StVZO verstoßen.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die mit näheren Ausführungen sachliches Recht für verletzt hält, war gem. § 80 Abs. 2 OWiG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Der Anwendungsbereich der Art. 4 u. 7 VO (EWG) Nr. 3820/85 bedarf der Klarstellung in seinem Verhältnis zum alten Recht der Europäischen Gemeinschaft (VO (EWG) Nr. 543/69) sowie zu § 15 a StVZO.

Die Rechtsbeschwerde muß Erfolg haben.

Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Freisprechung des Betroffenen.

Durch sein Verhalten hat der Betroffene nicht ordnungswidrig gehandelt.

Zunächst zutreffend hält das Amtsgericht eine Zuwiderhandlung gegen Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 3820/85 nicht für gegeben.

Die Frage, ob private Müllentsorgungsfahrzeuge, die im behördlichen Auftrag eingesetzt werden, den Lenkzeitbestimmungen unterliegen, war nach altem Recht, der VO (EWG) Nr. 543/69, durchaus streitig. Der Senat hat diese Frage verneint, weil kein Anlaß bestehe, kommunale und private Müllfahrzeuge im gegebenen Zusammenhange unterschiedlich zu behandeln; es müsse den Gemeinden, Städten und Kreisen überlassen bleiben, ob sie die öffentliche Aufgabe der Müllentsorgung durch eigene oder Fahrzeuge privater Spezialunternehmen erfüllten – letztlich eine Haushaltsentscheidung; durch die Art ihres Einsatzes, vor allem aber durch die Art der Verträge und deren gewöhnlich langfristige Geltung wären sie dem Wettbewerb entzogen (Beschluß des Senats vom 16. November 1981 – 4 Ss OWi 1103/81 = 8 OWi 21 Js 129/81 AG Hagen; abgedruckt in VRS 82, 312).

Ersichtlich abgestellt auf dia Ziele der VO (EWG) Nr. 543/69, nämlich Harmonisierung innerstaatlicher Vorschriften zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und „Beseitigung dar Unterschiede …, die die Wettbewerbsbedingungen im Verkehr wesentlich zu verfälschen geeignet sind”, erkannte der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom S. Dezember 1979 (Rechtssache 47/79) auf Vorlage durch das Oberverwaltungsgericht Bremen, daß der Begriff „Fahrzeuge, die von anderen Trägern öffentlicher Gewalt zu öffentlichen Zwecken eingesetzt werden”, im Sinne des Artikels 4 Nr. 4 der VO Nr. 543/69 i.d.F. der VO (EWG) Nr. 2827/77 „dahin zu verstehen ist, daß er sich nur auf Fahrzeuge bezieht, die im Eigentum oder in der Verfügungsgewalt des Trägers öffentlicher Gewalt stehen.”

An diese Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof sieht sich der Senat durch die VO … es Rates vom 20.12.1985 nicht mehr gebunden; sie ist dadurch überholt, weshalb der Senat sich auch nicht für verpflichtet gehalten hat, die Sache dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 177 EWG (BGBl. 1957 II, 766, 874) zur Vorabentscheidung vorzulegen. Diese hält er zur Auslegung das Art. 4 Nr. 6 VO Nr. 3820/85 weder für erforderlich (Art. 177 Abs. 1 Satz 2 EWGV) noch sieht er sich nach Art. 177 Abs. 2 EWGV zur Vorlage verpflichtet. Zwar ist die deutschsprachige Fassung des Art. 4 Nr. 6 … nicht gerade glücklich; sie läßt zu, „die zuständigen Stellen” ausschließlich auf „Kanalisation und Hochwasserschutz” zu beziehen, nicht aber auf „der Müllabfuhr”, wie sie auch gestattet, ebenfalls eine Privilegierung von Müllfahrzeugen anzunehmen, die von entsprechenden Behörden eingesetzt werden. Das kann aber auf sich beruhen bleiben; denn im Ergebnis wird der Einsatz von Fahrzeugen für dia...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge