Entscheidungsstichwort (Thema)
Schaublatt. Handwerkerprivileg
Leitsatz (amtlich)
Die Frage, wann es sich um "handwerklich hergestellte Güter" i.S. der Ausnahmeregelung des Art. 3 Buchst. aa) Unterbuchst. ii) der VO (EG) 561/2006 handelt, ist weder in der Verordnung noch in den weiteren Verweisungsvorschriften näher geregelt. Eine Übertragung der deutschen Regelungen zu Handwerksbetrieben, insbesondere der Handwerksordnung, ist aufgrund der gemeinschafts- und unionsrechtlichen Prägung des Tatbestandes nicht ohne weiteres möglich. Der Umstand, dass der Betrieb der Handwerksordnung unterliegt und als Meisterbetrieb in der Handwerksrolle eingetragen ist, ist daher kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Maßgeblich sind vielmehr die allgemeinen Auslegungsregeln, wozu insbesondere die Zielsetzung des Normgebers zählt. Als Ausnahmevorschrift ist der Tatbestand grundsätzlich eng auszulegen.
2. Eine überwiegend automatisierte Fertigung und eine ausgeprägte Arbeitsteilung durch auf einzelne Arbeitsschritte spezialisierte Arbeitskräfte sprechen eher für eine industrielle Fertigung. Manuelle Handarbeit durch umfassend handwerklich ausgebildete Mitarbeiter - wenn auch unter Mithilfe von Maschinen - und die Mitarbeit und Begleitung des gesamten Arbeitsprozesses durch den Inhaber legen eher eine handwerkliche Fertigung nahe.
Normenkette
FPersG § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b); FPersV § 23 Abs. 1 Nr. 2; VO (EU) 165/2014 Art. 3 Abs. 1; EGV 561/2006 Art. 3; GG Art. 103 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Arnsberg (Aktenzeichen 9 OWi 344/21) |
Tenor
Die Sache wird auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden übertragen (Alleinentscheidung der mitunterzeichnenden Richterin am Landgericht A als Einzelrichterin).
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Davon ausgenommen sind die Feststellungen zu den tatsächlichen Gegebenheiten der Kontrolle des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen BC-DE 00 am 00.00.20XX gegen 09:02 Uhr auf der F-Straße in G.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht Arnsberg zurückverwiesen.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen
Gründe
I.
Das Amtsgericht Arnsberg hat den Betroffenen unter Anwendung der Vorschriften § 8 Abs. 1 Nr. 1b FPersG und § 23 Abs. 1 Nr. 2 FPersVo wegen vorsätzlichen Unterlassens, für die ordnungsgemäße Benutzung des Schaublatts zu sorgen, zu einer Geldbuße von 750 € verurteilt.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils ist der Betroffene Geschäftsführer der H Verwaltung GmbH, welche Komplementärin der H - I GmbH & Co. KG ist. Am 00.00.20XX wurde ein Fahrzeug der H - I GmbH & Co. KG, welches ein zulässiges Gesamtgewicht von 6.600 kg hatte, im Rahmen einer Verkehrskontrolle mit Backwaren, die zum Teil vom Stammsitz an andere Filialen ausgeliefert wurden, an der aus dem Tenor ersichtlichen Stelle angetroffen. Teilweise handelte es sich auch um Retouren. Ein EG-Kontrollgerät war bei dem Fahrzeug eingebaut. Die Verwendung von Schaublättern erfolgte bewusst nicht.
Das Amtsgericht würdigte dies als Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Nr. 1 b) Fahrpersonalgesetz (FPersG) i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 2 Fahrpersonalverordnung (FPersV). Der Fahrtenschreiber und die Benutzung des Schaublatts seien gemäß Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 165/2014 des europäischen Parlaments und des Rates erforderlich gewesen. Für das Fahrzeug habe Art. 2 der VO (EG) Nr. 561/2006 gegolten. Eine Ausnahme nach Art. 3 der VO (EG) Nr. 561/2006 habe nicht vorgelegen. Insbesondere habe es sich bei den Backwaren nicht um handwerklich hergestellte Güter im Sinne von Art. 3 Bucht. aa) Unterbuchst. ii) der Verordnung gehandelt. Nach eigener Einlassung des Betroffenen würden täglich ca. 70.000 Brötchen und 3.000 Brote gefertigt und auf ca. 50 Filialen ausgeliefert. Aufgrund des Umfangs der hergestellten Waren liege unzweifelhaft keine handwerkliche Herstellung im Sinne der Vorschrift vor, sondern es handele sich um industriell hergestellte Backware.
Der Betroffene habe vorsätzlich gehandelt, da er die den Tatbestand erfüllenden Umstände gekannt und sich bewusst gegen die Nutzung der Fahrtenschreiber entschieden habe. Soweit er irrig angenommen habe, dass er sich auf die "Handwerkerregelung" berufen könne, sei dies mit Blick auf die umfangreiche Produktion vermeidbar gewesen. Es verurteilte den Betroffenen im Hinblick auf seine Einkommensverhältnisse zu einer Geldbuße von 750 €.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit welcher er die Aufhebung des Urteils und einen Freispruch, hilfsweise die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts begehrt. Gerügt wird die Verletzung sachlichen Rechts. Bei dem Betrieb handele es sich nicht um einen Industriebetrieb, sondern um einen Handwerksbetrieb. Alleine der Umfang der Produktion vermöge die Qualifizierung als Industriebetrieb nicht zu begründen. Die Backwaren würden in hand...