Entscheidungsstichwort (Thema)
Ehescheidungsverfahren: Berücksichtigung von Sozialleistungen beim Verfahrenswert
Leitsatz (amtlich)
Staatliche Sozialleistungen zur Deckung des Grundbedarfs ohne Lohnersatzfunktion - wie Leistungen nach dem SGB II - bleiben bei der Berechnung des Verfahrenswertes in Ehesachen außer Betracht.
Normenkette
FamGKG § 43
Verfahrensgang
AG Marl (Beschluss vom 16.09.2010; Aktenzeichen 36 F 174/10) |
Tenor
Die Beschwerden der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten gegen den Verfahrenswertbeschluss des AG - Familiengericht - M vom 16.9.2010 werden zurückgewiesen.
Gründe
I. Das AG hat durch Beschluss vom 8.9.2010 die Ehe der Beteiligten geschieden und durch den angefochtenen Beschluss den Verfahrenswert auf 2.100 EUR festgesetzt. Hierbei ist es von dem sich auf 700 EUR belaufenden Erwerbseinkommen der Antragstellerin ausgegangen, während auf Seiten des Antragsgegners der Bezug von Leistungen nach dem SGB II i.H.v. monatlich 609 EUR nicht als Einkommen i.S.v. § 43 FamGKG berücksichtigt worden ist. Hiergegen richten sich die Beschwerden der Verfahrensbevollmächtigten beider Beteiligter.
II.1. Die von den Bevollmächtigten der Beteiligten gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG im eigenen Namen eingelegten Beschwerden sind gem. den §§ 59 Abs. 1, 55 Abs. 3 S. 2 FamGKG zulässig. Sie sind indes nicht begründet.
Gemäß § 43 Abs. 1 FamGKG ist in Ehesachen der Verfahrenswert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift ist für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten einzusetzen.
Als Nettoeinkommen im Sinne dieser Vorschrift ist vorliegend allein das Erwerbseinkommen der Antragstellerin anzusehen. Dagegen stellen die nach dem SGB II bezogenen Leistungen an den Antragsgegner kein im Rahmen von § 43 Abs. 2 FamGKG berücksichtigungsfähiges Nettoeinkommen dar.
Die Frage, ob Leistungen nach dem SGB II als Einkommen i.S.v. § 43 FamGKG anzusehen sind, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Der Senat folgt der Ansicht, dass staatliche Sozialleistungen zur Deckung des Grundbedarfs und ohne Lohnersatzfunktion - wie vorliegend Leistungen nach dem SGB II - für die Berechnung des Verfahrenswertes außer Betracht zu bleiben haben. Das Gesetz knüpft in der genannten Vorschrift an das "erzielte Nettoeinkommen" und somit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eheleute an. Diese wird indes nicht durch gewährte Sozialleistungen bestimmt. Vielmehr sind diese staatlichen Zuwendungen gerade Ausdruck fehlender eigener Mittel der Empfänger und knüpfen der Höhe nach nicht an vorausgegangene Arbeitseinkünfte an sondern orientieren sich allein am Grundbedarf des Leistungsempfängers. Die gegenteilige Auffassung hätte zur Folge, dass der Verfahrenswert in Ehesachen u.a. durch das Mietniveau des Wohnortes der Beteiligten mitbestimmt würde. Für die hier vertretene Ansicht spricht weiterhin, dass ansonsten die gesetzliche Regelung in § 43 Abs. 1 S. 2 FamGKG, wonach der Wert nicht unter 2.000 EUR angenommen werden darf, leer liefe, da unter Einschluss der binnen drei Monaten gewährten Sozialleistungen diese Grenze durchgehend überschritten würde (so u.a. OLG Hamm, 6. OLG Hamm für Familiensachen, FamRZ 2009, 543, OLG Naumburg FamRZ 2009, 639, Binz/Dörndorfer, GKG, 2. Aufl. 2009, § 43 FamGKG Rz. 6; a.A. u.a. OLG Köln FamRZ 2009, 638, OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 453, OLG Celle NJW 2010, 3587, Schneider, Gebühren in Familiensachen, München 2010, Rz. 1036; differenzierend Schneider/Türck-Brocker, Familiengerichtskostengesetz, 2009, § 43 Rz. 23).
Soweit die Gegenmeinung geltend macht, dass in den Unterhaltsrichtlinien verschiedener OLG Leistungen nach dem SGB II als Einkommen bei dem Verpflichteten zu berücksichtigen seien(vgl. OLG Köln, a.a.O.), betrifft dies eine andere Fragestellung und führt daher zu keinem Widerspruch zu der hier vertretenen Ansicht. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Arguments (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.), der Begriff des Einkommens i.S.v. § 115 ZPO umfasse auch nach dem SGB II gewährte Leistungen (vgl. dazu BGH NJW-RR 2011, 3). Soweit angeführt wird, das Interesse der Verfahrensbevollmächtigten an einer angemessenen Vergütung gebiete es, Sozialleistungen nicht unberücksichtigt zu lassen (vgl. OLG Köln, a.a.O.), ist auf den Beschluss des BVerfG vom 22.2.2006 (NJW 2006, 1581) hinzuweisen, mit welchem die Verfassungsbeschwerde einer Rechtsanwältin nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Das BVerfG hat in dieser Entscheidung die hier vertretene Ansicht zur Frage der Auslegung des Begriffs "Nettoeinkommen" in § 48 Abs. 3 S. 1 GKG a.F., die es als "der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur" entsprechend bezeichnet hat, ausdrücklich gebilligt; diese Auslegung begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Es verbleibt daher bei dem vom AG festgesetzten Verfahrenswert. Die weiteren in § 43...