Entscheidungsstichwort (Thema)
qualifizierter Rotlichtverstoß. Lichtzeichenanlage. Dauer der Rotphase. Beweiswürdigung-Mitzählen. Schätzung
Leitsatz (amtlich)
Entfernungsangaben, die nicht auf Messungen, sondern ausschließlich auf visuellen Beobachtungen beruhen, sind in der Regel - wie auch Zeitschätzungen - mit einem erheblichen Fehlerrisiko behaftet und daher kritisch zu hinterfragen. Gleiches gilt für die Nutzung von im Internet zur Verfügung gestellten Messfunktionen für die Berechnung von Entfernungen.
Normenkette
StVO § 37
Verfahrensgang
AG Detmold (Entscheidung vom 20.02.2019; Aktenzeichen 4 OWi 500/18) |
Tenor
(Entscheidung der Einzelrichterin)
Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragen.
(Entscheidung des Bußgeldsenats in der Besetzung mit drei Richtern)
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Detmold vom 20.02.2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Detmold zurückverwiesen.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen wegen "fahrlässiger Missachtung des Rotlichts der Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase bereits länger als 1 Sekunde andauerte, in Tateinheit mit Nichtmitführen der Zulassungsbescheinigung Teil I" eine Geldbuße von 245,00 Euro und ein Fahrverbot von einem Monat - bei Gewährung von Vollstreckungsaufschub nach § 25 Abs. 2 a StVG - verhängt.
Hierzu hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
"Der Betroffene befuhr am 29.07.2018 um 09:09 Uhr mit einem PKW Smart, amtliches Kennzeichen ###-## ### aus Richtung M kommend die M-Straße in P. Vor Ort galt eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h.
In Höhe der Kreuzung zur C-Straße ist eine Lichtzeichenanlage für Fahrzeuge einschließlich einer Lichtzeichenanlage für Fußgänger installiert. Diese befindet sich aus der Fahrtrichtung des Betroffenen vor der Einmündung C-Straße, vor der Lichtzeichenanlage ist eine Haltelinie auf der Fahrbahn aufgebracht. Die Gelbphase der Lichtzeichenanlage beträgt 3 Sekunden. Aufgrund der geraden Straßenführung im Vorfeld der Lichtenzeichenanlage ist die Ampelanlage für herannahende Fahrzeuge deutlich erkennbar.
Der Betroffene befand sich mit dem von ihm geführten PKW mindestens mehr als zwanzig Meter von der Haltelinie entfernt, als die Lichtzeichenanlage von Gelblicht auf Rotlicht wechselte. Dem Betroffenen, der nicht mehr als 70 km/h fuhr, wäre es bei Beachtung des Umschaltens der Lichtzeichenanlage auf Gelb gefahrlos möglich gewesen, sein Fahrzeug anzuhalten und an der Haltelinie zum Stehen zu bringen. Stattdessen fuhr der Betroffene mit gleichbleibender Geschwindigkeit weiter geradeaus und überfuhr die Haltelinie, nachdem die Rotlichtphase bereits länger als eine Sekunde andauerte.
Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte der Betroffene erkennen können, dass er die Haltelinie der Lichtzeichenanlage überfuhr, obwohl der Signalgeber der Lichtzeichenanlage Rotlicht zeigte, und sein Fahrzeug an der Haltelinie zum Stehen bringen können, dies wäre gefahrlos möglich gewesen.
Während der Fahrt führte der Betroffene die Zulassungsbescheinigung Teil I nicht mit, auch dies hätte er bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen können."
Zur Beweiswürdigung heißt es in den Urteilsgründen unter anderem:
"Die Zeugin PKin T hat ausgesagt, dass sie eine gezielte Überwachung auf sog. Handy-, Gurt- und Rotlichtverstöße durchgeführt habe. Dabei habe sie sich mit einem Kollegen in einem PKW mit geöffneten Fenstern in der Einmündung G befunden, wobei die Frontseite des Fahrzeugs Richtung M-Straße gezeigt habe. Das Überwachungsfahrzeug habe geschätzt etwa eine Fahrzeuglänge von der Einmündung entfernt, auf Höhe der vorderen Ecke des dort rechtsseitig stehenden Hauses gestanden. Die Zeugin berichtete, sie habe mit ihrem Kollegen den Verkehr beobachtet, als die Lichtzeichenanlage auf Rot umgeschaltet habe. Dann hätten sie durch die geöffneten Fenster gehört, dass sich ein PKW aus Fahrtrichtung M näherte. Dann sei das Fahrzeug des Betroffenen mit gleichbleibender Geschwindigkeit aus Fahrtrichtung M in ihr Sichtfeld gefahren und habe die Haltelinie und die Einmündung zur C-Straße trotz anhaltenden Rotlichts überquert, obwohl es ihrer Einschätzung nach noch hätte anhalten können...
Die Zeugin räumte offen ein, dass die Dauer des Rotlichts nicht durch Mitzählen überprüft worden sei, es sei für sie und den Kollegen vielmehr aufgrund des geschilderten Ablaufs ganz klar gewesen, dass das Rotlicht bereits länger als eine Sekunde anhielt, sie schätze den Zeitablauf vor dem geschilderten Hintergrund auf 3 - 5 Sekunden, schließe jedoch aus, dass es nur eine Sekunde gewesen sei. Auch Unsicherheiten...