Leitsatz (amtlich)
1.
Wenn eine Verweisung auf das ein von einem Verkehrsverstoß gefertigtes Lichtbild nicht den Anforderungen entsprechend erfolgt ist und dem Rechtsbeschwerdegericht damit eine eigene Betrachtung verwehrt bleibt, hat das Tatgericht durch eine ausführliche Beschreibung der Bildqualität und der charakteristischen Identifizierungsmerkmale des Betroffenen die Prüfung zu ermöglichen, ob das in Augenschein genommene Lichtbild zur Identifizierung geeignet ist.
2.
Es ist nicht Aufgabe des Betroffenen, seine Unschuld zu beweisen, vielmehr muss das Gericht mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln die Täterschaft des Betroffenen nachweisen.
3.
Zu den erforderlichen Ausführungen, wenn das Gericht von einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgehen will.
Verfahrensgang
AG Recklinghausen (Entscheidung vom 11.06.2003) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach den §§ 3 Abs. 3, 41 Abs. 2, Zeichen 274/274.1, 49 StVO in Verbindung mit §§ 24, 25 StVG zu einer Geldbuße von 375,00 EURO verurteilt und außerdem ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt. Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen hat der Betroffene am 22. Februar 2003 auf der BAB A 43 die an der Vorfallsstelle auf 80 km/h begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit um 74 km/h überschritten. Der Betroffene hat bestritten, Fahrer des Pkw gewesen zu sein. Das Amtsgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Betroffenen auf ein vom Vorfall gefertigtes Lichtbild/Radarfoto gestützt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:
"Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden.
Soweit der Betroffene die Verletzung formellen Rechts rügt und die Aufklärungsrüge erhebt, ist sie unzulässig, da sie nicht den Anforderungen des § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht. Danach ist die Aufklärungsrüge in zulässiger Form nur erhoben, wenn die Rechtsbeschwerde die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, benennt und mitteilt, welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätten drängen müssen (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, Rdnr. 81 zu § 244 m.w.N.). Der Betroffene hat es bereits unterlassen, konkrete Beweistatsachen zu benennen.
Die erhobene Sachrüge hat hingegen zumindest einen vorläufigen Erfolg, da die Feststellungen im angefochtenen Urteil zur Täterschaft des Betroffenen einen Rechtsfehler erkennen lassen. Das Amtsgericht hat hierzu ausgeführt:
"Das Gericht ist auch von der Fahrereigenschaft des Betroffenen überzeugt. Das Lichtbild BI. 2 d.A. ist ohne weiteres zur Identifizierung geeignet. Der Fahrer ist darauf deutlich zu erkennen. Das Gericht hat keinerlei Zweifel, dass es sich hier um den Betroffenen handelt."
Diese Feststellungen werden nicht den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung gerecht, die an die Darlegung im Urteil zur Identifizierung des Betroffenen als Fahrzeugführer mittels eines Beweisfotos gestellt werden (zu vgl. BGH, NZV 1996, 157, 158). Danach müssen die Urteilsgründe dem Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit zur Prüfung der Geeignetheit des Fotos zur Identifizierung des Betroffenen eröffnen. Hierzu kann das Tatgericht im Urteil gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG auf das zur Akte genommene Foto Bezug nehmen, wenn es sich um ein zur Identifizierung generell geeignetes Beweisfoto handelt. Weitere Angaben sind dann entbehrlich, da das Rechtsbeschwerdegericht das Foto aus eigener Anschauung würdigen kann. Die Anwendung des § 267 Abs. 1 S. 3 StPO setzt jedoch stets voraus, dass das Urteil die Bezugnahme deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck bringt (zu vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 8 zu § 267 m.w.N.). Diese Voraussetzung wird durch das Urteil nicht erfüllt, da es lediglich die Blattzahl mitteilt, auf welcher sich das Foto in der Akte befindet. Wenn - wie vorliegend - eine Verweisung auf das Beweisfoto nicht den Anforderungen entsprechend erfolgt ist und dem Rechtsbeschwerdegericht eine eigene Betrachtung verwehrt bleibt, hat das Tatgericht durch eine ausführliche Beschreibung der Bildqualität und der charakteristischen Identifizierungsmerkmale die Prüfung zu ermöglichen, ob das in Augenschein genommene Lichtbild zur Identifizierung geeignet ist (zu vgl. BGH, a.a.O.). Da das angefochtene Urteil aber auch insoweit keine näheren Ausführu...