Leitsatz (amtlich)
1. Es genügt den inhaltlichen Anforderungen von § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG in der vom Anfang 2008 bis 16. Dezember 2009 geltenden Fassung, wenn die Widerrufsbelehrung auf den Zugang der "weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 VVG" abstellt und auch im Übrigen ordnungsgemäß ist. Dies gilt jedenfalls, wenn - wie hier - dem die Widerrufsbelehrung enthaltenen Versicherungsschein die "Verbraucherinformation" beigefügt war, in welcher es direkt zu Beginn und in Fettdruck unübersehbar heißt, dass "in dieser Verbraucherinformation, im Produktinformationsblatt, in der Werteübersicht, in den Versicherungsbedingungen und im Steuermerkblatt" die "Informationen nach § 7 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Verbindung mit § 1 und § 2 der Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV)" enthalten sind (Anschluss an BGH, Urteil vom 27. März 2019 - IV ZR 132/18, Rn. 2, 9).
2. Die Rechtsprechung des EuGH zur Kaskadenverweisung im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditlinie ist auf die in den Lebensversicherungsrichtlinien vorgesehenen Lösungsrechte jedenfalls nach dem hier maßgeblichen Rechtsstand nicht übertragbar gewesen (Abgrenzung zu Landgericht Köln, Urteil vom 16. November 2021 - 12 O 190/21, juris Rn. 29 ff.).
3. Die fehlende Angabe, dass im Falle einer Rückabwicklung auch Nutzungen herauszugeben sind, macht eine Widerrufsbelehrung (gemäß § 8 VVG in der vom Anfang 2008 bis 16. Dezember 2009 geltenden Fassung) nicht fehlerhaft, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - einem sofortigen Beginn des Versicherungsschutzes zugestimmt hat und deshalb aufgrund des vorrangigen § 9 Satz 1 VVG Nutzungsersatz überhaupt nicht geschuldet ist (Abgrenzung zu OLG Karlsruhe, Urteil vom 17. Mai 2019 - 12 U 141/17, juris Rn. 61; OLG Stuttgart, Urteil vom 20. Januar 2022 - 7 U 46/21, juris Rn. 50, 52 ff.).
4. Zur Rechtsmissbräuchlichkeit eines Widerrufs (vorsorglich unter II 2 b).
Normenkette
VVG a.F.§ 8
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 22 O 86/22) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 22.03.2023 verkündete Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld (22 O 86/22) wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Berufungsstreitwert: 95.000 EUR
Gründe
I. Der Kläger verlangt nach Widerruf seiner auf Abschluss eines mit Wirkung zum 01.12.2009 geschlossenen Basisrentenvertrags gerichteten Willenserklärung im Wege der Stufenklage dessen Rückabwicklung.
Der klägerische Antrag vom 30.10.2009 (Bl. 93 ff. der elektronischen Gerichtsakte erster Instanz [nachfolgend: eGA-I bzw. eGA-II für jene der zweiten Instanz]) enthält auf Seite drei unter der in Fettdruck gehaltenen Überschrift "Schlusserklärung des Antragstellers" folgende Einverständniserklärung:
"Einverständniserklärung zum Versicherungsschutz vor Ablauf der Widerrufsfrist - Ich bin damit einverstanden, dass der Versicherungsschutz bei Vorliegen der vertraglichen Voraussetzungen nach § 3 der AIIgemeinen Bedingungen bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, mit der Folge, dass der Versicherer nur den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil des Beitrags zu erstatten hat."
Mit Schreiben vom 25.11.2009 übermittelte der Beklagte dem Kläger den Versicherungsschein vom gleichen Tag und belehrte diesen dort über sein Widerrufsrecht - in Fettdruck - wie folgt:
"Widerrufsrecht: Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 30 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt am Tag, nachdem Ihnen der Versicherungsschein, die Vertragsbestimmungen einschließlich unserer Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die Vertragsinformation nach § 7 Absatz (2) des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) und diese Belehrung in Textform zugegangen sind. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an die P. Lebensversicherung a.G., L.-straße N01, N02 P..
Widerrufsfolgen: Im Falle eines wirksamen Widerrufs endet Ihr Versicherungsschutz und wir erstatten Ihnen den Teil Ihres Beitrags, der auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfällt. Den Teil Ihres Beitrags, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt, können wir einbehalten. Wir erstatten Ihnen aber einen ggf. vorhandenen Rückkaufswert einschließlich der Überschussbeteiligung nach § 169 VVG. Beginnt der Versicherungsschutz erst nach Ablauf der Widerrufsfrist, sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Beiträge erstatten wir Ihnen unverzüglich, spätestens 30 Tage nach Zugang des Widerrufs."
Mit dem Versicherungsschein erhielt der Kläger weitere Vertragsunterlagen, wie sie im Einzelnen auf S. 4 der Klageerwider...