Leitsatz (amtlich)
Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nach Gefahren- und Organisationsbereichen im vertraglichen Bereich entbindet den Geschädigten nicht davon - wie im Rahmen der deliktischen Haftung - zunächst darzulegen und zu beweisen, dass überhaupt eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle aufgrund allgemeiner Glätte oder erkennbarer Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr aufgrund vereinzelter Glättestellen bestand (in Fortschreibung zu BGH Urt. v. 25.10.2022 - VI ZR 1283/20, r+s 2023, 42 Rn. 15 ff.; BGH Urt. v. 2.7.2019 - VI ZR 184/18, r+s 2019, 606 Rn. 10 m.w.N.; OLG Hamm Urt. v. 19.1.2021 - 7 U 106/19, BeckRS 2021, 2529 = juris Rn. 18 m.w.N.).
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2, § 254 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Aktenzeichen 7 O 158/22) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird der Beklagten Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Gründe
I. Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Zurecht hat das Landgericht der Klage überwiegend stattgegeben.
Die Einwendungen der Beklagten, die Feststellungsklage sei jedenfalls teilweise unzulässig, die Feststellung einer allgemeinen Glättebildung genüge nicht den Anforderungen des § 286 ZPO und der Kläger müsse im Hinblick auf seinen unstreitigen Alkoholkonsum jedenfalls ein Mitverschulden von 50 % tragen, bezüglich derer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Berufungsbegründung (Bl. 58 ff. der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA II-58 ff.) verwiesen wird, greifen nicht durch.
1. Die Feststellungsklage ist zulässig, da die Schadensentwicklung sowohl in immaterieller als auch materieller Hinsicht zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgeschlossen waren und der Kläger damit nicht zur Erhebung auch nur einer Teilleistungsklage verpflichtet war. Ob eine Leistungsklage im Laufe des Prozesses insgesamt möglich geworden ist, ändert nichts an der Zulässigkeit der einmal erhobenen Feststellungsklage (vgl. insoweit ständig BGH Urt. v. 5.10.2021 - VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 25; BGH Urt. v. 31.10.2022 - VIa ZR 591/21, BeckRS 2022, 31955 Rn. 12; BGH Urt. v. 10.3.2016 - I ZR 147/14, WM 2016, 1632 Rn. 9; BGH Urt. v. 19.4.2016 - VI ZR 506/14, r+s 2016, 533; BGH Urt. v. 19.12.2018 - IV ZR 255/17, r+s 2019, 155 Rn. 19 f.).
2. Die Klagen sind auch begründet.
Es besteht allerdings nicht nur ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 1 BGB, sondern auch ein solcher aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung jeweils mit § 249 Abs. 2, § 253 Abs. 2 BGB, da der Kläger als Gast im Restaurant der Beklagten war und beim Verlassen des Gebäudes auf dem Grundstück der Beklagten gestürzt ist und sich dabei eine Oberschenkelhalsfraktur zuzog.
a) Im Rahmen der vertraglichen Haftung ist dabei anders als bei der deliktischen Haftung die Beklagte nach den Grundsätzen der Beweislast nach Gefahren- und Organisationsbereichen dafür darlegungs- und beweisbelastet, dass sie ihrer Räum- und Streupflicht nachgekommen ist (vgl. BGH Urt. v. 25.10.2022 - VI ZR 1283/20, r+s 2023, 42 Rn. 15 ff. m.w.N.). Vorliegend ist aber ohnehin unstreitig oder jedenfalls aufgrund der Beweisaufnahme unzweifelhaft, dass die Beklagten nach 18 Uhr bis zum Sturzereignis um 22 Uhr keine Räum- und Streumaßnahmen organisiert und unternommen hat, obwohl sie als Betreiberin des Restaurants und der benachbarten Skihütte auch und gerade noch um diese Zeit den vom Kläger genutzten Weg als Verkehrsfläche eröffnet hatte.
b) Diese Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Pflichtverletzung im vertraglichen Bereich entbindet den Kläger indes nicht davon - wie im Rahmen der deliktischen Haftung - zunächst darzulegen und zu beweisen (im Fall BGH Urt. v. 25.10.2022 - VI ZR 1283/20, r+s 2023, 42 Rn. 8 hatte das Berufungsgericht bindend festgestellt, dass mit einer Weintraube auf dem Boden eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle bestand und diese Ursache für den Sturz war), dass überhaupt eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle aufgrund allgemeiner Glätte oder erkennbarer Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr aufgrund vereinzelter Glättestellen bestand (vgl. BGH Urt. v. 2.7.2019 - VI ZR 184/18, r+s 2019, 606 Rn. 10 m.w.N.; Senat Urt. v. 19.1.2021 - 7 U 106/19, BeckRS 2021, 2529 = juris Rn. 18 m.w.N.).
Diesen Beweis einer allgemeinen Glättebildung hat der Kläger aber nach den im Hinblick auf § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden Feststellungen des Landgerichts geführt.
aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anha...