Entscheidungsstichwort (Thema)

Offener Vollzug. Missbrauchsgefahr. Spruchreife. lebenslänglich Inhaftierte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Voraussetzungen der Annahme einer Spruchreife bei begehrter Verlegung in den offenen Vollzug.

2. Die Gefahr der Begehung von Straftaten nur mittleren oder geringeren Gewichts (hier evtl. Betrugstaten), die einer Aussetzung einer wegen Mordes verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57a StGB nicht entgegenstünden, ist im Rahmen der Entscheidung über die Verlegung eines zu lebenslanger Haft Verurteilten in den offenen Vollzug speziell in der Phase einer (möglichen) Entlassung (wegen bevorstehenden Ablaufs der Mindestverbüßungsdauer) im Einklang mit den im Rahmen einer Entscheidung nach § 57a StGB geltenden Maßstäben in Kauf zu nehmen und kann dem Gefangenen nicht als Versagungsgrund für seine Verlegung in den offenen Vollzug entgegen gehalten werden.

 

Normenkette

StVollzG § § 109 ff., § 115 Abs. 4 S. 1, § 119 Abs. 4 S. 2; StVollzG NRW § 12 Abs. 1 S. 2; StGB § 57a

 

Verfahrensgang

LG Krefeld (Aktenzeichen 22 StVK 293+306/21)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit die Justizvollzugsanstalt A angewiesen worden ist, den Antrag des Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer erneut zu bescheiden.

Die Justizvollzugsanstalt A wird verpflichtet, den Betroffenen in eine Anstalt des offenen Vollzuges zu verlegen.

Die Kosten des Verfahrens 22 StVK 306/21 LG Krefeld und des Rechtsbeschwerdeverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last (§ 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO entsprechend).

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gegenstandslos.

 

Gründe

I.

Der inzwischen 50-jährige Betroffene verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes, deren Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren auf den 31. August 2022 notiert ist. Bis zur Begehung der Anlasstat führte er im Wesentlichen ein prosoziales Dasein. Der Bundeszentralregisterauszug weist neben der Anlasstat eine Eintragung wegen Betruges in zwei Fällen aus dem Jahr 2003 auf. Das nach den Feststellungen des Schwurgerichts aus Habgier sowie zur Verdeckung und Ermöglichung einer anderen (Vermögens-)Straftat begangene Delikt aus der Anlassverurteilung war im besonderen Maß davon geprägt, dass der Betroffene sich über lange Zeit das Vertrauen seines späteren Tatopfers erschlichen und im Zuge der von ihm befürchteten Aufdeckung seines betrügerischen Verhaltens eine konflikthafte Zuspitzung der Situation eingetreten war.

Aus der Vollzugsgeschichte des Betroffenen ist bekannt, dass er am 28. April 2015 aus der JVA B entwichen war und erst zwei Tage später wieder festgenommen werden konnte, weshalb er sich anschließend zunächst in der JVA C in einem verstärkt gesicherten Haftbereich befand. Seit dem 26. Januar 2017 befindet er sich in der JVA A (im Folgenden: Antragsgegnerin). Mit Ausnahme eines (von der JVA C mangels Impulskontrollproblem als kontraindiziert angesehenen) Anti-Gewalt-Trainings hat der Betroffene in der Vergangenheit an keinem Behandlungsangebot der Vollzugsanstalten teilgenommen. Seit Januar 2022 ist er allerdings an einen externen Psychotherapeuten angebunden.

Der Betroffene begehrt seit Längerem seine Verlegung in den offenen Vollzug zum Zwecke der Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme (Ausbildung zum "(...)" ). Eine ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin vom 17. Dezember 2020 hob der Senat mit Beschluss vom 21. Juli 2021 (III-1 Vollz(Ws) 239/21) als ermessensfehlerhaft auf. Bemängelt wurde insbesondere, dass die Vollzugsanstalt eine fehlende Eignung des Betroffenen für den offenen Vollzug unter anderem mit seinem (vermeintlich) "verbal-aggressiven Beschwerdeverhalten" bzw. seinen im Haftverlauf zu Tage getretenen "narzisstisch-selbsterhöhenden, rechthaberischen und querulatorischen Tendenzen" begründet hatte, ohne in die Beurteilung einzubeziehen, in welchem jeweiligen Kontext entsprechende Äußerungen erfolgt waren und ob ein darin zum Ausdruck kommender Unmut bzw. Ärger gegebenenfalls auch berechtigt erscheinen könnte. Insoweit merkte der Senat an, dass zumindest die bisher seitens des Betroffenen angebrachten Rechtsbeschwerden überwiegend erfolgreich waren, was sich für einen vermeintlichen "Querulanten" als eine eher ungewöhnliche Erfolgsquote darstelle. Überdies waren die Ausführungen zum etwaigen Bestehen einer positiv festzustellenden Flucht- und oder Missbrauchsgefahr nicht hinreichend, um eine Ablehnung der begehrten Verlegung in den offenen Vollzug zu rechtfertigen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Senatsbeschluss vom 21. Juli 2021 Bezug genommen.

Der mit der Aufhebung der ablehnenden Entscheidung vom 17. Dezember 2020 durch den Senat ausgesprochenen Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Neubescheidung kam diese mit Entschließung vom 18. November 2021 nach, mit der sie die Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug abermals für nicht v...

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