Entscheidungsstichwort (Thema)

Offener Vollzug. Selbstdisziplin. Absprachefähigkeit. Eignung. Beschwerdeverhalten

 

Leitsatz (amtlich)

Beabsichtigt die Vollzugsanstalt, im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums bei Bewertung der persönlichen Eignung eines Gefangenen für die Verlegung in den offenen Vollzug, dessen "Beschwerdeverhalten" (hier: vermeintlich "verbal-aggressiv") einzubeziehen, ist dabei zu berücksichtigen, in welchem jeweiligen Kontext entsprechende Äußerungen erfolgt sind und ob ein darin zum Ausdruck kommender Unmut bzw. Ärger gegebenenfalls auch berechtigt erscheinen könnte. Konkret war vorliegend zu beachten, dass zumindest die bisher seitens des Betroffenen beim Senat angebrachten Rechtsbeschwerden - wie auch im vorliegenden Fall - überwiegend erfolgreich waren, was sich für einen vermeintlichen "Querulanten" als eine eher ungewöhnliche Erfolgsquote darstellt.

 

Normenkette

StVollzG §§ 109 ff.; StVollzG NRW § 12

 

Verfahrensgang

LG Krefeld (Entscheidung vom 19.03.2020; Aktenzeichen 22 StVK 176 + 295/20)

 

Tenor

Die Verfahren III-1 Vollz(Ws) 207/21 und III-1 Vollz(Ws) 239/21 OLG Hamm werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Rechtsbeschwerden werden zugelassen.

Die angefochtenen Beschlüsse werden mit Ausnahme der Festsetzung des Gegenstandswertes aufgehoben, ebenso der Bescheid der Leiterin der Justizvollzugsanstalt X vom 17. Dezember 2020.

Die Vollzugsbehörde wird angewiesen, den Betroffenen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde im Verfahren III-1 Vollz(Ws) 207/21 OLG Hamm = 22 StVK 176/20 LG Krefeld wird verworfen.

Die im Verfahren III-1 Vollz(Ws) 207/21 OLG Hamm = 22 StVK 176/20 LG Krefeld entstandenen Kosten einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen hat der Betroffene zu tragen, jedoch wird die gerichtliche Gebühr um 3/4 ermäßigt. Die Landeskasse hat 3/4 der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen (§§ 121 Abs. 4 StVollzG, 474 Abs. 4 StPO).

Die im Verfahren III-1 Vollz(Ws) 239/21 OLG Hamm = 22 StVK 295/20 LG Krefeld entstandenen Kosten einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Landeskasse zu tragen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird unter Festsetzung eines Gegenstandswerts von 500,00 € auf Kosten des Betroffenen verworfen.

 

Gründe

I.

Der Betroffene verbüßt in der JVA X eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes, deren Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren auf den 00. August 20XX notiert ist. Er begehrt in den vorliegenden Verfahren (erneut) seine Verlegung in eine Anstalt des offenen Vollzuges, um eine Ausbildung zum "(...)" absolvieren zu können. In einem vorangegangenen Verfahren (22 StVK 248/19) hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 19. März 2020 verpflichtet, den Antrag des Betroffenen auf Verlegung in eine andere Vollzugsanstalt zur Absolvierung einer Umschulungsmaßnahme neu zu bescheiden. Da die Vollzugsanstalt nach Auffassung des Betroffenen dieser Verpflichtung nicht hinreichend gerecht geworden war, wandte sich der Betroffene mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 05. Juli 2020 erneut mit dem Antrag an die Strafvollstreckungskammer (22 StVK 176/20 LG Krefeld), ihn in eine Anstalt des offenen Vollzuges zu verlegen und die Antragsgegnerin zu diesem Zweck zu verpflichten, den Vollzugsplan fortzuschreiben und hierzu eine angemessene Frist zu setzen. Im Verlauf des Verfahrens erstellte die Antragsgegnerin auf Grundlage einer Vollzugskonferenz vom 10. Dezember 2020 unter dem 17. Dezember 2020 das schriftliche Ergebnis einer Progressionsprüfung, nach deren Inhalt eine Verlegung in den offenen Vollzug erneut abgelehnt wurde. Hiergegen richtete sich ein gesonderter weiterer Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2020 (22 StVK 176/20 LG Krefeld). Mit den angefochtenen Beschlüssen vom 23. März 2021 hat die Strafvollstreckungskammer die Anträge auf gerichtliche Entscheidung verworfen und hierzu ausgeführt, die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 17. Dezember 2020 sei nicht zu beanstanden, damit sei auch das Begehren des Betroffenen auf Neubescheidung gemäß Beschluss vom 19. März 2020 erledigt.

Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, die Antragsgegnerin habe beurteilungsfehlerfrei eine Eignung des Betroffenen für den offenen Vollzug im Sinne des § 12 Abs. 1 StVollzG NRW abgelehnt, so dass es auf die weitere Frage, ob gleichzeitig auch eine Flucht- und/oder Missbrauchsgefahr vorliege, nicht ankomme.

Hiergegen richten sich die rechtzeitig angebrachten Rechtsbeschwerden des Betroffenen, welche das Ministerium der Justiz jeweils für unzulässig erachtet, da ein Zulassungsgrund nicht gegeben sei.

Mit weiterem Schriftsatz vom 05. Juli 2021 hat der Betroffene zudem unter Vorlage eines in einem anderen Verfahren zwischenzeitlich eingeholten Sachverständigengutachtens den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch den Senat des Inhalts...

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