Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrzeugkaufvertrag: Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens wegen der Implementierung eines Thermofensters und einer Fahrkurvenerkennung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Fahrzeughersteller, der eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegeben und dadurch §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV verletzt hat, muss Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21). (Rn. 22)
2. Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers - etwa bei der zuständigen Aufsichtsbehörde - dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, so scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem betreffenden Schutzgesetz infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (hypothetische Genehmigung) (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 27. Juni 2017, VI ZR 424/16). (Rn. 28)
Normenkette
BGB § 276 Abs. 2, § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 11.04.2023; Aktenzeichen 12 O 340/21) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
I. Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das am 11.04.2023 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Essen, Az. 12 O 340/21 hat keine Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Eine Berufung kann gem. § 513 Abs. 1 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Diese Voraussetzungen sind aber nicht erfüllt, da das Landgericht die Klage zu Recht vollumfänglich abgewiesen hat.
1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs und des darin verbauten Dieselmotors des Typs EA 288 (EU 6) unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch auf anteilige Erstattung des zum Erwerb des Fahrzeugs geleisteten Kaufpreises oder auf Ersatz eines Differenzschadens zu.
a) Insbesondere steht der Klägerin gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung; nachfolgend: EG-FGV) i.V.m. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.09.2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie; nachfolgend: Richtlinie 2007/46/EG) i.V.m. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29.06.2007; nachfolgend: VO 715/2007/EG) zu.
Bei diesen Vorschriften handelt es sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-100/21 vom 21.03.2023, Celex-Nr. ..., juris, zwar um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Der Europäische Gerichtshof hat in dem Urteil vom 21.03.2023 entschieden, dass die Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG dahingehend auszulegen seien, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG ausgestattet ist. Ein Fahrzeugkäufer könne erwarten, dass ein mit einer Übereinstimmungsbescheinigung nach Anhang IX der Richtlinie 2007/46/EG versehenes Fahrzeug die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG einhält und nicht potentiell von Betriebseinschränkungen bzw. einer Betriebsuntersagung bedroht ist. Andernfalls sei er in seinen individuellen Vermögensinteressen verletzt.
Weiter hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21, juris, zwar entschieden, dass einem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der VO 715/2007/EG versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV grundsätzlich ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zusteht.
Das Vorliegen der Vorausset...