Leitsatz (amtlich)
Im Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG müssen sowohl die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung entschuldigen sollten, als auch die Erwägungen des Tatrichters, diese nicht als genügende Entschuldigung anzusehen, so ausführlich und vollständig dargelegt werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein anhand der Urteilsgründe die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu überprüfen vermag.
Verfahrensgang
AG Marl (Entscheidung vom 19.05.2006) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Marl zurückverwiesen.
Gründe
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 05.01.2007 u.a. Folgendes ausgeführt:
" I.
Der Landrat des Kreises Recklinghausen hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 13.09.2005 wegen Nichteinhaltens des erforderlichen Abstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug eine Geldbuße in Höhe von 112,50 EUR verhängt (Bl. 4-5 d.A). . In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Marl am 19.05.2006 ist der Betroffene nicht erschienen. Das Amtsgericht hat daraufhin den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG wegen unentschuldigten Ausbleibens des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin verworfen (BI. 51-52 d.A.). Gegen dieses seinem Verteidiger am 24.05.2006 (Bl. 55 d.A.) zugestellte Verwerfungsurteil hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30.05.2006, bei dem Amtsgericht Marl per Telefax eingegangen am 31.05.2006 (BI. 57ff. d.A.), Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das Amtsgericht Marl hat am 22.06.2006 den Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Verwerfungsurteil als unbegründet verworfen (BI. 73 f. d.A.).
Mit Beschluss des Landgerichts Essen vom 07.08.2006 (BI. 86-87 d.A.) ist die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Betroffenen als unbegründet verworfen worden.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig gestellt und form- und fristgerecht begründet worden.
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, da es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Gesetzwidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht und damit auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, entspricht den Anforderungen der
§§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Wird die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt, muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoss gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gibt einen Anspruch darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen und dem Betroffenen nachteiligen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch des Betroffenen durch Urteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind (zu vgl. BayObLG, DAR 2003, 463; OLG Köln NZV 1999, 264; 1992, 419). Der Beschwerdeschrift ist hinreichend zu entnehmen, dass der Betroffene Entschuldigungsgründe für sein Nichterscheinen in der Hauptverhandlung, nämlich die beruflich die veranlasste Teilnahme am Sommerfest "Lebendiger Jungfernstieg" in der Zeit vom 19.05.2006 bis 21.05.2006, vorgebracht hat. Die Rechtsbeschwerde macht geltend, das Gericht habe diese Entschuldigung zu Unrecht als nicht ausreichend gewertet. Sie stellt damit in verfahrensrechtlich zulässiger Weise die angefochtene Entscheidung mit der Rüge, das Amtsgericht habe den Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt, zur Überprüfung.
Die somit formgerecht mit der Verfahrensrüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtlichen Gehör und eines Verstosses gegen § 74 Abs. 2 OWiG erhobene Rechtsbeschwerde hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die Urteilsbegründung des Amtsgerichts genügt bereits nicht den Anforderungen, die an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteil zu stellen sind.
Danach müssen sowohl die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung entschuldigen sollten, als auch die Erwägungen des Tatrichters, diese nicht als genügende Entschuldigung anzusehen, so ausführlich und vollständig dargelegt werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein anhand der Urteilsgründe die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu überprüfen vermag (vgl. Senatsbeschluss vom ...