Leitsatz (amtlich)
1. Der Eintritt in die gesetzliche Krankenversicherung gilt jedenfalls auch dann als "Abschluss eines neuen Vertrags" im Sinne des § 205 Abs. 6 Satz 1 VVG, wenn ein privater Krankenversicherungsvertrag nach § 205 Abs. 1 VVG ordentlich gekündigt wurde und erst während der Restlaufzeit die gesetzliche Versicherungspflicht zur Entstehung gelangt.
2. Ist in einem solchen Fall der erforderliche Nachweis nach § 205 Abs. 6 Satz 1 VVG fristgerecht erbracht, ist ein (zusätzlicher) Nachweis über das Bestehen einer gesetzlichen Versicherungspflicht nach § 205 Abs. 2 Satz 2 VVG entbehrlich.
3. Wird während der Restlaufzeit nach erklärter Kündigung der Wechsel in den Basistarif nach § 204 Abs. 2 VVG beantragt, beseitigt dies die Kündigungswirkungen nicht. Ein neuer Versicherungsvertrag, der einer erneuten Kündigung bedürfte, wird durch den Tarifwechsel nicht begründet (Anschluss an BGH, Urteil vom 12. September 2012 - IV ZR 28/12, juris Rn. 7).
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 18 O 23/23) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 18. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 20.07.2023 (18 O 23/23) abgeändert.
Dem Beklagten wird Prozesskostenhilfe mit Wirkung ab Antragstellung, also zur Verteidigung gegen den gesamten mit der Anspruchsbegründung verfolgten Klageanspruch zzgl. der geltend gemachten Nebenforderungen, bewilligt.
Zugleich wird Rechtsanwalt Z zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte in erster Instanz beigeordnet.
Im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten wird von der Anordnung einer ratenweisen Zahlung der Prozesskosten zunächst abgesehen. Sollten sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ändern, kann dieser Beschluss gemäß § 120a Abs. 1 ZPO abgeändert werden.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf vermeintlich rückständige Prämien aus einer privaten Krankenversicherung für den Zeitraum von März 2021 bis einschließlich Dezember 2021 in Anspruch. Der Beklagte wendet ein, die Krankenversicherung wirksam gekündigt zu haben. Diese Rechtsverteidigung bietet nach dem bisherigen Sach- und Streitstand hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).
1. Der Beklagte hat den Versicherungsvertrag wirksam zum 28.02.2021 gekündigt.
a) Unstreitig hat der Beklagte den Versicherungsvertrag mit Kündigungsschreiben vom 29.07.2020 gekündigt, wobei von ihm eine Kündigung mit Wirkung zum 01.10.2020 gewünscht war. Hierbei handelte es sich um eine ordentliche Kündigung gem. § 205 Abs. 1 VVG (siehe § 13 Abs. 1 AVB).
Der Umstand, dass die Kündigung wegen der Kündigungsfrist des § 205 Abs. 1 Satz 1 VVG nur zum 28.02.2021 Wirkung entfalten konnte, steht der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen. Die Klärung der Streitfrage, ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen eine zum Wunschzeitpunkt unwirksame Kündigung in eine Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt umgedeutet werden kann (siehe dazu Langheid/Wandt/Fausten, VVG, 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 138 ff.), kann nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert werden.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 10.08.2020 die Kündigung nicht wegen eines zu frühen Beendigungszeitpunkts, sondern allein wegen der bislang fehlenden Bescheinigung des Nachfolgeversicherers zurückgewiesen und überdies ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass die Kündigung (nur) dann unwirksam würde, wenn die Bescheinigung nicht bis zum 28.01.2021 (richtig: 28.02.2021) nachgereicht würde.
Damit ist für das Prozesskostenhilfeverfahren davon auszugehen, dass die vom Beklagten erklärte Kündigung zumindest im Falle der Wahrung der Nachweispflicht mit Ablauf der gesetzlichen Frist Wirkungen zeitigen sollte.
Dass die Kündigung der nach § 208 Satz 2 VVG vereinbarten Form entbehrt hätte, ist von keiner Partei geltend gemacht worden.
b) Die Wirksamkeit der Kündigung entfiel nicht gem. § 205 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 VVG (siehe § 13 Abs. 6 AVB).
Hiernach kann der Versicherungsnehmer eine Versicherung, die eine Pflicht aus § 193 Abs. 3 Satz 1 erfüllt, nur dann nach § 205 Abs. 1 bis Abs. 5 VVG kündigen, wenn er bei einem anderen Versicherer für die versicherte Person einen neuen Vertrag abschließt, der dieser Pflicht genügt. Die Kündigung wird nur wirksam, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb von zwei Monaten nach der Kündigungserklärung nachweist, dass die versicherte Person bei einem neuen Versicherer ohne Unterbrechung versichert ist; liegt der Termin, zu dem die Kündigung ausgesprochen wurde, mehr als zwei Monate nach der Kündigungserklärung, muss der Nachweis (erst) bis zu diesem Termin erbracht werden.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt:
aa) Der Beklagte ist unstreitig seit dem 01.03.2021 Mitglied der AOK und hat damit seiner Versicherungspflicht aus § 205 Abs. 6 Satz 1 VVG genügt. Wie der ausdrückliche Verweis in § 205 Abs. 6 Satz 1 VVG auf das Sonderkündigung...