Leitsatz (amtlich)
1. Macht ein Versorgungsunternehmen gegenüber einem Kunden Vergütungsansprüche aus Energielieferungen geltend, die der Kunde bisher nicht beglichen hat, weil er den Abschluss eines Vertrages und die vom Unternehmen veranlassten Energielieferungen bestreitet, erfasst die Zuständigkeitsregelung des § 102 EnWG diese Zahlungsansprüche nicht, da nicht der Anspruch auf Grundversorgung oder eine sich aus dem EnWG ergebende Rechtsbeziehung Streitgegenstand ist.
2. Ist die für die Zuständigkeit maßgebliche Rechtslage für ein Gericht ohne umfangreiche Rechtsprüfung leicht erkennbar und wird gleichwohl trotz erhobener Einwendungen einer Partei und ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung mit entgegenstehender obergerichtlicher Rechtsprechung die Verweisung an ein sachlich nicht zuständiges Gericht ausgesprochen, kann ein grober Rechtsfehler vorliegen, der die Verweisung als willkürlich erscheinen und die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO entfallen lässt.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281; EnWG § 102
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das AG M bestimmt.
Gründe
A. Als sog. virtueller Energielieferant betreibt die Klägerin ein bundesweit agierendes Energielieferungsunternehmen. Nach dem Klagevortrag schließt sie mit ihren Kunden ausschließlich Sonderkundenverträge i.S.v. § 41 EnWG. Sie behauptet, mit dem Beklagten einen derartigen Energieliefervertrag für den Zeitraum vom 1.4.2011 bis einschließlich 28.3.2013 geschlossen und dem Beklagten daraufhin mit Energie versorgt zu haben. Ihre Leistungen hat sie mit insgesamt 4925,66 EUR abgerechnet. Diesen Betrag zzgl. Zinsen, Mahnauslagen, Bankrücklastkosten und vorgerichtlich entstandener Anwaltsgebühren macht sie im Klagewege gegen den Beklagten geltend. Der Beklagte bestreitet im Wesentlichen, mit der Klägerin einen Energieliefervertrag abgeschlossen zu haben und durch sie mit Energie beliefert worden zu sein.
Mit Verfügung vom 17.6.2014 hat das AG M die Parteien darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die amtsgerichtliche Zuständigkeit bestünden, da die Klägerin Ansprüche aus einem Sonderkundenvertrag i.S.v. § 41 EnWG geltend mache. Nach §§ 102 f. EnWG seien für die sich aus diesem Gesetz ergebenden Streitigkeiten die LG ausschließlich zuständig, vorliegend das LG E. Nachdem die Klägerin diesem Hinweis unter Bezugnahme auf dem Beschluss des OLG Brandenburg vom 14.3.2011 (1 AR 8/11) widersprochen hatte, hat das AG den Parteien mit Verfügung vom 8.7.2014 mitgeteilt, die Bedenken gegen die Zuständigkeit bestünden fort, da es im vorliegenden Fall nicht um nur der Höhe nach streitige Zahlungsansprüche aus einem unstreitig zustande gekommenen Vertrag, sondern um den streitigen Vertragsschluss nach § 41 EnWG gehe. Dieser Rechtsauffassung ist die Klägerin erneut entgegengetreten und hat hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das LG E beantragt.
Mit Beschluss vom 4.8.2014 hat sich das AG M für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG E verwiesen. Zur Begründung hat es auf den Inhalt seiner Verfügungen vom 17.6.2014 und 8.7.2014 Bezug genommen.
Das LG E hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 9.9.2014 ebenfalls für unzuständig erklärt, die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und die Sache dem OLG Hamm zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt.
B.I. Gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist der Zuständigkeitsstreit durch das OLG Hamm zu entscheiden. Das OLG Hamm ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht für die am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte.
II. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Das AG M und auch das LG E haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für sachlich unzuständig erklärt. Das AG M hat am 4.8.2014 einen gem. § 281 Abs. 2 ZPO unanfechtbaren Verweisungsbeschluss erlassen. Das LG E hat mit seinem Vorlagebeschluss vom 9.9.2014 seine Zuständigkeit verneint. Beide Beschlüsse sind als "rechtskräftig" i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO anzusehen. Sie zeigen einen den Parteien bekannt gemachten, beiderseitigen gerichtlichen Kompetenzkonflikt auf (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO-Kom., 30. Aufl. 2014, § 36 Rz. 25 m.w.N.).
III. Zuständig ist das AG M.
1. Gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO kommt dem Verweisungsbeschluss des AG M vom 4.8.2014 zwar grundsätzlich Bindungswirkung zu. Ausnahmsweise entfällt diese aber. Das kann der Fall sein, wenn höherrangiges Verfassungsrecht verletzt ist, wenn beispielsweise das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unzureichend gewährt oder der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) objektiv willkürlich entzogen wurde. Einfache Rechtsfehler des verweisenden Gerichts bei der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage genügen allerdings nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzeswidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (vgl. Senat, Beschluss vom 2.1.2012, 32 SA 102/11, zitiert über Juris. de, Tz 9; OLG Brandenburg, Beschluss vom ein 20.9.2...