Leitsatz (amtlich)
Ein Verweisungsbeschluss kann willkürlich und damit nicht mehr bindend sein, wenn das verweisende Gericht eine seine Zuständigkeit begründenden Norm nicht zur Kenntnis genommen oder sich ohne weiteres darüber hinweggesetzt hat. Ein solcher Ausnahmefall kann insbesondere dann vorliegen, wenn das Gericht den Sachverhalt oder den Zuständigkeitsstreitwert evident falsch erfasst. Wird die Zuständigkeit auf dem Streitwert der Sache abgeleitet, so setzt die Bindungswirkung der Verweisung voraus, dass die Streitwertfestsetzung nach Lage der Akten aus dem Begehren der klagenden Partei selbst ohne weiteres nachvollziehbar oder jedenfalls durch das Gericht nachvollziehbar begründet worden ist.
Normenkette
ZPO §§ 3, 36 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
LG Hagen (Aktenzeichen 8 O 238/15) |
Tenor
Sachlich zuständig ist das AG Hagen.
Gründe
I. Das Verfahren liegt dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner Klage Folgendes vor:
Er habe bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeit, für den ihm die Beklagten - der Beklagte zu 1) als Halter, die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer - dem Grunde nach (unstreitig) schadensersatzpflichtig sind, am 20.02.2013 eine Thoraxprellung und eine Sternum(Brustbein-)fraktur erlitten. Er sei wegen dieser Verletzungen stationär vom 20.02. bis 23.02.2013 und ambulant weiter bis zum 12.07.2013 behandelt worden und insgesamt 5 Monate erwerbsunfähig gewesen. Es bestehe seitdem eine Minderung der Erwerbstätigkeit von 10 %, die auch dauerhaft verbleibe. Er leide heute noch verletzungsbedingt - jeweils bei Belastung - unter Schmerzen in der Brust und im Rücken, könne keine Lasten über 20 kg alleine tragen und nicht mehr über dem Kopf arbeiten.
Der Verkehrsunfall ist durch die zuständige Berufsgenossenschaft als Wegeunfall anerkannt worden.
Der Kläger hat mit der vor dem AG Hagen erhobenen Klage zunächst ein angemessenes Schmerzensgeld von nicht unter 2.000 EUR (6.000 EUR abzüglich gezahlter 4.000 EUR) verlangt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat das AG Hagen darauf hingewiesen, dass "die Anpassung des Klageantrags an das gesamte Vorbringen gegebenenfalls angezeigt wäre". Unter Bezugnahme auf die mündliche Verhandlung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 01.07.2015 die Klage um den Antrag erweitert, festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren immateriellen und materiellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 20.02.2013 zu ersetzen, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.
Zur Begründung hat er ausgeführt, er leide nach wie vor unter den gesundheitlichen Folgen und eine dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit sei nicht auszuschließen. Ferner heißt es: "Insoweit das Gericht davon ausgeht, dass der Feststellungsantrag mit einem Streitwert über 3.000 EUR zu bewerten ist, regen wir die Verweisung an das LG an."
Das AG Hagen hat durch Beschluss vom 06.07.2015 den Streitwert für den Rechtsstreit auf 5.500 EUR (2.500 plus 3.000 EUR) festgesetzt.
Mit Schriftsatz vom selben Tag hat der Klägervertreter "im Hinblick darauf, dass das Gericht den Feststellungsantrag mit über 3.000 EUR bewertet", einen Antrag auf Verweisung an das LG gestellt. Mit Schriftsatz vom 24.07.2015 haben die Beklagten ihr Einverständnis mit der beantragten Verweisung erklärt.
Das AG Hagen hat sich durch Beschluss vom 28.07.2015 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Hagen verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: "Im vermuteten Einverständnis des Beklagten erfolgt die Verweisung im schriftlichen Verfahren (§§ 281, 3, 5 ZPO) (Klageerweiterung; Streitwertbeschluss vom 06.07.2015; die Erweiterung vom 29.07.2015 stellt keine rügelose Einlassung dar)."
Das LG Hagen hat den Parteien mit Schreiben vom 10.08.2015 die Absicht mitgeteilt, die Übernahme des Verfahrens abzulehnen und den Streitwert auf bis zu 5.000 EUR festzusetzen. Der Kläger hat dazu dahin Stellung genommen, der Verweisungsantrag sei auf Hinweis des AG, dass die Zuständigkeit durch die Bewertung des Feststellungsantrags nicht gegeben sein dürfte, erfolgt. Er könne einer abweichenden Festsetzung nicht entgegentreten.
Das LG Hagen hat mit Beschluss vom 31.08.2015 die Übernahme der Sache abgelehnt und an das AG zurückverwiesen und gleichzeitig den Streitwert für das Verfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Das AG selbst sei bis zum Erlass des Streitwertbeschlusses davon ausgegangen, dass der Antrag auf Schmerzensgeld wie durch den Kläger beziffert mit 2.000 EUR zu bewerten sei. Nach diesem Betrag sei der Vorschuss angefordert worden. Es sei nicht ersichtlich, dass eine Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages im Streitwertbeschluss aus anderen Gründen vorgenommen worden sei als aus dem Grund, die Voraussetzungen einer Verweisung herbeizuführen. Der Feststellungsantrag sei durch den Kläger zutreffend mit 3.000 EUR bewertet worden. Es sei nicht zu erkennen, warum der Feststellungsantr...