Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialleistungsbetrug. notwendige tatrichterliche Feststellungen
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Verurteilung wegen Sozialleistungsbetruges müssen die tatrichterlichen Entscheidungsgründe in nachvollziehbarer Weise zu erkennen geben, dass und inwieweit auf die zu Unrecht erbrachten Leistungen nach den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen tatsächlich kein Anspruch bestand.
Normenkette
StGB § 263
Verfahrensgang
AG Rheine (Entscheidung vom 29.03.2022; Aktenzeichen 5 Ds 489/21) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Strafrichter zuständige Abteilung des Amtsgerichts Rheine zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Rheine hat gegen den Angeklagten mit Urteil vom 29. März 2022 wegen Betruges eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt.
Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht dabei folgende Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte bezog in der Zeit vom 12.04.2021 bis 30.04.2021 zu Unrecht Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 1.082,37 Euro, weil er es pflichtwidrig und vorsätzlich unterließ, der Arbeitsagentur A seine Arbeitsaufnahme am 12.04.2021 bei der Firma B GmbH anzuzeigen."
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30. März 2022 zunächst das Rechtsmittel der Berufung eingelegt. Sein Rechtsmittel hat er mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom 24. Mai 2022 dahingehend geändert, dass er nunmehr Revision gegen das Urteil des Amtsgerichts einlegt. Diese hat der Verteidiger des Angeklagten zugleich unter näheren Ausführungen mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie vom Senat erkannt worden ist.
II.
Die nach §§ 333, 335 StPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und auch begründete Sprungrevision des Angeklagten ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Die auf die erhobene Sachrüge hin vorzunehmende Überprüfung des Urteils führt zu seiner Aufhebung, da die Feststellungen des Amtsgerichts den Schuldspruch wegen Betruges nicht tragen. Die Feststellungen des Amtsgerichts sind insoweit lückenhaft.
Wird einem Angeklagten vorgeworfen, staatliche Sozialleistungen betrügerisch erlangt zu haben, müssen die tatrichterlichen Entscheidungsgründe in nachvollziehbarer Weise zu erkennen geben, dass und inwieweit auf die angeblich "überzahlten" Beträge nach den sozialhilferechtlichen Bestimmungen tatsächlich kein Anspruch bestand. Im Rahmen der getroffenen Feststellungen darf sich das erkennende Gericht dabei nicht mit dem bloßen Verweis auf eine behördliche Schadensaufstellung begnügen. Eine Verurteilung nach § 263 StGB wegen betrügerisch erlangter öffentlicher Leistungen setzt regelmäßig voraus, dass der Tatrichter selbst nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften geprüft hat, ob und inwieweit tatsächlich kein Anspruch auf die beantragten Leistungen bestand (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11. Mai 2021, 5 RVS 25/21, Beschluss vom 17. August 2015, 5 RVs 65/15, Beschluss vom 15. Februar 2011, 5 RVs 2/11, Beschluss vom 16. Mai 2006 in 3 Ss 7/06, Beschluss vom 28. Juni 2005, StV 2005, 612; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. November 2000, StV 2001, 354, Beschluss vom 12. Juli 1991, StV 1991, 520; Kammergericht Berlin, Urteil vom 18. Februar 2013, 1 Ss 281/12 (341/12); Fischer, StGB, 69. Aufl., § 263, Rdnr. 141).
Dementsprechend sind detaillierte Ausführungen dazu erforderlich, wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten zum jeweiligen Tatzeitpunkt darstellten und in welcher Höhe nach den gesetzlichen Bestimmungen dann jeweils ein Anspruch auf öffentliche Leistungen bestand bzw. eine Überzahlung öffentlicher Leistungen erfolgte. Insoweit ist seitens des erkennenden Gerichts selbst eine - ggf. auch ins Einzelne gehende - Berechnung der dem Angeklagten zustehenden öffentlichen Leistungen notwendig (vgl. nur OLG Hamm, Beschluss vom 11. Mai 2021, 5 RVs 25/21).
Diesen Anforderungen werden die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ersichtlich nicht gerecht. Das Amtsgericht hat lediglich pauschal festgestellt, dass der Angeklagte zu Unrecht in der Zeit vom 12. bis zum 30. April 2021 Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 1.082,37 Euro erhalten hat. Weitere Einzelheiten, insbesondere die Berechnung des überzahlten Betrages, werden nicht mitgeteilt.
Aufgrund des aufgezeigten Mangels ist das angefochtene Urteil nach § 349 Abs. 4 StPO insgesamt aufzuheben. Die Sache ist an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Rheine - auch zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels - nach § 354 Abs. 2 StPO zurückzuverweisen.
Fundstellen
Dokument-Index HI15346135 |