Leitsatz (amtlich)

1. Sind der Kindesmutter maßgebliche Teile der Personensorge entzogen, bedarf es ihrer Anhörung im Unterbringungsverfahren gem. § 167 Abs. 4 FamFG nicht.

2. Für die Beschwerdeberechtigung der Kindesmutter gem. § 59 Abs. 1 FamFG genügt auch nicht, wenn sich die angefochtene Entscheidung nur mittelbar auf die rechtlichen Beziehungen der Kindesmutter auswirkt und sie deshalb ein berechtigtes Interesse an ihrer Änderung hat. Für nicht unmittelbar von der Unterbringung Betroffene ist die Beschwerdeberechtigung vielmehr spezialgesetzlich in § 335 FamFG geregelt.

3. Ergibt sich aus den Anhörungen des Kindes sowie seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen und dem Verfahrensbeistand, dass die Großmutter für das Kind eine große Bedeutung hat, ist diese als Vertrauensperson gem. § 335 Abs. 1 Nr. 2 FamFG zu behandeln, auch wenn das zu dieser Möglichkeit nicht befragte Kind sie nicht ausdrücklich als solche benannt hat.

4. Die Unterbringungsdauer muss unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach der Art der Erkrankung und der Prognose des Abklingens einer Eigen- oder Fremdgefährdung des Betroffenen unter dem Einfluss einer medizinischen Behandlung bestimmt werden. Diese Prognose kann nur auf der Grundlage einer ärztlichen Einschätzung vorgenommen werden.

 

Verfahrensgang

AG Coesfeld (Aktenzeichen 5 F 198/11)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kindesmutter wird als unzulässig verworfen.

Die Beschwerde der Großmutter wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Unterbringung des betroffenen Kindes in einer geschlossenen Gruppe des N-stifts, O2, (nur) befristet bis zum 31.01.2012 genehmigt wird.

Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

Die Kindesmutter trägt die Kosten ihres Beschwerdeverfahrens.

Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren der Großmutter wird abgesehen. Jeder Beteiligte trägt seine außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens selbst.

Der als Gegenvorstellung gegen den Verfahrenskostenhilfe verweigernden Senats-beschluss vom 21.11.2011 anzusehende Schriftsatz der Kindesmutter vom 29.11.2011 wird zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens der Kindesmutter und der Großmutter wird je-weils auf 3.000,00 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

M wurde am 30.04.2007 durch das Stadtjugendamt N in Obhut genommen und vorübergehend in der Kinderschutzstelle des N Waisenhauses untergebracht. Vom 08.09.2007 bis 27.07.2011 war M im Kinderhaus L in O untergebracht.

Der allein sorgeberechtigten Kindesmutter wurde im Rahmen einer Hauptsacheentscheidung durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 05.10.2007 (564 F 09376/06) das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Zuführung zur medizinischen Behandlung, zur Regelung der ärztlichen Versorgung und Schulangelegenheiten sowie zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII entzogen und auf das Stadtjugendamt N als Pfleger übertragen.

Wegen massiver Auffälligkeiten im sexuellen Bereich stellte das Stadtjugendamt N als Pfleger bei dem Amtsgericht Rosenheim am 11.07.2011 einen einstweiligen Anordnungsantrag auf Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung von M gem. § 1631b BGB in einer geschlossenen Intensivgruppe für sexuell übergriffig agierende männliche Kinder und Jugendliche des N-stifts in O2. Durch Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim - Abteilung für Familiensachen

(4 F 1222/11) - wurde am 21.07.2009 die vorläufige Unterbringung von M in einer geschlossenen Einrichtung des N-stifts in O2 bis zum 01.09.2011 familiengerichtlich genehmigt und durch weiteren Beschluss vom 28.07.2011 ergänzt. Die von der Großmutter eingelegte Beschwerde gegen den Unterbringungsbeschluss wurde durch Beschluss des OLG München vom 18.10.2011 (12 UF 1654/11) verworfen.

M wurde am 27.07.2011 in einer geschlossenen Intensivgruppe des N-stifts in O2 untergebracht.

Mit Schreiben vom 05.08.2011 beantragte das Stadtjugendamt N bei dem für O2 zuständigen Amtsgericht Coesfeld im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens die Genehmigung zur weiteren geschlossenen Unterbringung von M in der geschlossenen intensivtherapeutischen Wohngruppe des N-stifts in O2.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Coesfeld verlängerte durch Beschluss vom 09.08.2011 die Beschlüsse des Amtsgerichts - Familiengericht - Rosenheim bis zum 30.09.2011 und holte ein Gutachten des Sachverständigen Dr. T zur Erforderlichkeit der weiteren geschlossenen Unterbringung von M ein, welcher sein schriftliches Gutachten am 16.09.2011 erstellte. Durch Beschluss vom 26.09.2011 wurde Frau S zum Verfahrensbeistand für M bestellt. Der Kindesmutter wurde durch Verfügung vom 26.09.2011 eine Kopie des Gutachtens mit einer Terminsnachricht übersandt. M wurde am 29.09.2011 durch das Amtsgericht in Anwesenheit des Verfahrensbeistands angehört.

Durch Beschluss vom 29.09.2011 hat das Amtsgericht im Rahmen einer Hauptsacheentscheidung dem Stadtjugendamt N die Genehmigung erteilt, M, soweit und solange dies ärztlicherseits für erforderlich erachtet wird, in einer geschlossenen Gruppe des...

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