Leitsatz (amtlich)
1.
Für die Einordnung eines Kraftfahrzeugs als LKW oder PKW ist auf dessen konkrete Bauart, Ausstattung und Einrichtung abzustellen, weil diese Eigenschaften des Fahrzeugs für dessen Verwendung, insbesondere die Beladung, von maßgeblicher Bedeutung sind und damit das Fahrverhalten des Fahrzeugs und dessen Beherrschbarkeit entscheidend prägen.
2.
Zur Frage der Unvermeidbarkeit eines (Verbots)Irrtums über die Einordnung eines so. Sprinters.
Verfahrensgang
AG Siegen (Entscheidung vom 25.01.2005) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Der Betroffene wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Siegen hat den Betroffenen mit Urteil vom 25. Januar 2005 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen (§ 24 StVG, § 18 Abs. 5 S. 2 Nr. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 18 StVO) zu einer Geldbuße in Höhe von 110,- EUR verurteilt. Nach den zugrunde liegenden Feststellungen befand sich der Betroffene am 23. Oktober 2003 auf einer gewerblichen Fahrt zwecks Güterbeförderung und befuhr dabei gegen 16.20 Uhr die Bundesautobahn A 45 in Höhe des Kilometers 103 in Fahrtrichtung Frankfurt mit einem Kraftfahrzeug der Marke Daimler-Chrysler, Typ "Sprinter", wobei er nach Auswertung des im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle sichergestellten Schaublattes unter Berücksichtigung eines Toleranzabzugs von 6 km/h eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 120 km/h erzielte. Zur Fahrzeugeigenschaft hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
"Bei dem von dem Betroffenen gefahrenen Fahrzeug handelt es sich laut Fahrzeugschein um ein als Pkw einzuordnendes Kraftfahrzeug mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 4,6 t. Das Fahrzeug ist mit einer separaten Ladefläche ausgestattet, die durch eine dauerhaft installierte Wand von der mit einer Sitzbank versehenen Fahrgastzelle abgetrennt ist. Der Laderaum ist durch eine Blechtrennwand mit Fenster von der Fahrgastzelle getrennt. Die Wand ist mit Nieten an der Fahrzeugkarosserie befestigt. Im Laderaum befinden sich rechts und links hinter der B-Säule Seitenfenster. In der Fahrgastzelle sind neben dem Fahrersitz zwei Sitzmöglichkeiten vorhanden. Des weiteren ist der Laderaum seitlich mit Holz beplankt. Der Fahrzeugboden ist mit Holzplatten ausgelegt, die an der Bodengruppe festgenietet sind. Im Laderaum sind zahlreiche Zurrmöglichkeiten vorhanden. Des weiteren verfügt das Fahrzeug an der Hinterachse über Zwillingsreifen. ... Die Ladefläche des Kraftfahrzeugs war mit Aktivkohle beladen."
Das Amtsgericht hat das von dem Betroffenen geführte Fahrzeug straßenverkehrsordnungsrechtlich unter Rückgriff auf die in § 4 Abs. 4 Nr. 1 und 3 Personenbeförderungsgesetz - PBefG - und § 23 Abs. 6 a StVZO (a.F.) verwendeten Begriffsbestimmungen als Lastkraftwagen eingestuft, da es nach konkreter Bauart und Einrichtung zur Beförderung fremden Transportgutes bestimmt und geeignet sei. Diese Auslegung des in der StVO, speziell in § 18 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 StVO verwendeten Begriffs des Lastkraftwagens in Abgrenzung zu dem nach Bauart und Einrichtung zur Personenbeförderung bestimmten Personenwagen entspreche dem Normzweck der für Lastkraftwagen geltenden Geschwindigkeitsbeschränkungen, da von diesen größeren und schwereren Fahrzeugen aufgrund ihrer Masseträgheit höhere Unfallgefahren ausgingen. Für die Bestimmung der Art des Kraftfahrzeugs sei der zulassungsrechtliche Status d.h. die Bezeichnung der Kraftfahrzeugart in den Kraftfahrzeugpapieren unmaßgeblich. Die irrige Auffassung des Betroffenen, der aufgrund der Bezeichnung des Fahrzeugs im Kraftfahrzeugschein als "PKW" davon ausgegangen sei und darauf vertraut habe, dass die auf Autobahnen für Lastkraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t geltende Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h gemäß § 18 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 StVO für das von ihm gesteuerte Fahrzeug nicht gelte, hat das Amtsgericht als Verbotsirrtum angesehen und sich auch insoweit auf gleichlautende Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Beschluss vom 23. Juli 2003, veröffentlicht in NJW 2004, 396), des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Beschluss vom 25. August 2004, veröffentlicht in DAR 2004, 715) und des Oberlandesgerichts Jena (Beschluss vom 12. Oktober 2004, veröffentlicht in NJW 2004, 3579) bezogen. Das Amtsgericht hat diesen Verbotsirrtum - ohne nähere Begründung - als vermeidbar eingestuft und dem Verbotsirrtum durch Absehen von dem nach der Bußgeldkatalog-Verordnung verwirklichten einmonatigem (Regel-) Fahrverbot Rechnung getragen. Gleichzeitig hat es die dort vorgesehene Regelbuße von 100,- EUR aufgrund einer Vorbelastung des Betroffenen, gegen den mit Entscheidung vom 2. Juli 2003, rechtskräftig seit dem 19. Juli 2003, wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 19 km/h eine Geldbuße in Höhe von 75,- EUR festgesetzt worden war, um 10,- EUR auf 110,- EUR erh...