Leitsatz (amtlich)
Zum Absehen vom Fahrverbot aus beruflichen Gründen.
Verfahrensgang
AG Bottrop (Entscheidung vom 11.03.2005) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bottrop zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bottrop hat gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft - fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 StVG in Verbindung mit den §§ 3, 41, 49 StVO - eine Geldbuße in Höhe von 200,- EUR verhängt.
Nach den Urteilsfeststellungen überschritt der Betroffene am 28.04.2004 gegen 11.09 Uhr mit dem von ihm geführten PKW VW mit dem amtlichen Kennzeichen ... auf der BAB A 42, die er in Fahrtrichtung Dortmund befuhr, außerhalb geschlossener Ortschaft die im Bereich der Messstelle durch Verkehrszeichen 274 auf 80 km/h beschränkte Geschwindigkeit um 45 km/h. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mit einem Verkehrsradargerät des Typs Multanova 6 F. Von der gemessenen Geschwindigkeit von 129 km/h wurden 4 km/h (3 %) als Toleranz in Abzug gebracht.
Das Amtsgericht hat den Rechtsfolgenausspruch wie folgt begründet:
"Der Bußgeldkatalog sieht bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße in Höhe von 100,- EUR und ein Fahrverbot von einem Monat vor.
Die Verhängung eines Fahrverbotes wäre eine Härte ganz außergewöhnlicher Art. Der Betroffene übt die Funktion des Betriebsratsvorsitzenden der Werksdirektion ... aus und ist zugleich Mitglied im Gesamtbetriebsrat der ... AG. Aufgrund dieser Tätigkeiten muss der Betroffene zwei- bis dreimal pro Woche von seinem Wohnort im Saarland ins Ruhrgebiet reisen, um an Sitzungen des Gesamtbetriebsrates teilzunehmen. So ist er regelmäßig in Bottrop (Schachtanlage P.), Herne (Schachtanlage Pl.), in der Hauptverwaltung in H. sowie in D. und O.. Außerdem hat er kürzlich auch eine Sitzung in M. wahrnehmen müssen. Der Betroffene hat in der Regel zur Wahrnehmung seiner Auf-gaben ein Dienstwagen zur Verfügung, mit dem er jährlich ca. 40.000 km zu-rücklegt. Aufgrund seiner Tätigkeiten kann dem Betroffenen kein zusammen-hängender Urlaub von einem Monat gewährt werden. Diese Angaben sind belegt durch die Bescheinigung des Arbeitgebers vom 09.12.2004 (Bl. 59 d.A.).
Der Betroffene ist nicht vorbelastet. Er ist seit 1973 im Besitz der Fahrerlaubnis.
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist von der Verhängung eines Fahrverbotes unter gleichzeitiger Verdoppelung der Geldbuße abgesehen worden."
Gegen dieses Urteil richtet sich die bei zutreffender Auslegung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird und die sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes richtet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich der Rechtsbeschwerde unter ergänzenden Ausführungen angeschlossen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils im Rechtsfolgenausspruch.
Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Senatsentscheidungen vom 04.03.2005 - 3 Ss OWi 3/05 -; vom 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -; 04.07.2002 - 3 Ss OWi 339/02 -; 06.06.2000 - 3 Ss OWi 237/00 -; 20.03.1997 - 3 Ss OWi 52/97 -; 06.02.1997 - 3 Ss OWi 13/97 -; 12.10.1996 - 3 Ss OWi 1405/96 -; 30.09.1996 - 3 Ss OWi 972/96 -; 07.03.1996, JMBl. 1996, 246).
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung hat der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie ...