Leitsatz (amtlich)
Bloße Lästigkeiten bei der Berufsausübung und sonstigen Verrichtungen des täglichen Lebens sind zwangsläufige Folge jedwedes Fahrverbots und rechtfertigen allein das Absehen vom Fahrverbot nicht.
Verfahrensgang
AG Essen (Entscheidung vom 26.10.2005) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Essen hat den Betroffenen durch das angefochtene Urteil wegen Überschreitung der nach Zeichen 274 zulässigen Höchstgeschwindigkeit (fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. §§ 41, 49 Abs. 3 Ziffer 4 StVO) zu einer Geldbuße von 200,- EUR verurteilt; von der Verhängung eines Fahrverbots wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV hat das Amtsgericht abgesehen.
Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 26.12.2004 gegen 23.59 Uhr als Fahrer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen die BAB 40 in Essen in Fahrtrichtung Duisburg. In Höhe von Kilometer 64,1 fuhr der Betroffene mit einer Geschwindigkeit von zumindest 128 km/h, obwohl zu dieser Zeit nur eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erlaubt war. Dies ist dem Betroffenen zumindest aus grober Nachlässigkeit entgangen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Sie ist ausweislich der Rechtsbeschwerdebegründung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der örtlichen Staatsanwaltschaft beigetreten.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg, denn die Rechtsfolgenentscheidung des angefochtenen Urteils weist durchgreifende materiell-rechtliche Rechtsfehler auf.
Zwar genügen die Urteilsgründe den Anforderungen, die an die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu stellen sind. Zwar bedarf es auch in den Fällen, in denen die Überzeugung des Tatrichters von der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf ein standardisiertes Messverfahren gestützt wird, regelmäßig zumindest der Angabe des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes. Das Messverfahren braucht aber dann nicht im Urteil mitgeteilt zu werden, wenn der Betroffene - wie vorliegend - die Zuverlässigkeit der Geräte und das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung nicht bezweifeln will und hinsichtlich der übrigen Tatumstände ein uneingeschränktes glaubhaftes Geständnis vorliegt (Senatsbeschluss vom 28.07.2005 - 3 Ss OWi 277/05 -). Unabhängig hiervon schließt eine lückenhafte Beweiswürdigung ebenso wenig wie eine falsche Anwendung des geltenden Rechts eine Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch aus.
Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 30.01.2006 Folgendes ausgeführt:
"Die Urteilsgründe lassen bereits nicht erkennen, wann die den Voreintragungen zugrunde liegenden Bußgeldbescheide in Rechtskraft erwachsen sind. Zwar erschließt sich aus dem Bemerken, sie seien im Verkehrszentralregister verzeichnet, noch hinreichend deutlich, dass sie rechtskräftig geworden sind, und ersichtlich ist wegen der mitgeteilten Tatzeiten eine Tilgungsreife gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 S. 1 StVG ausgeschlossen. Dagegen ermöglichen die Urteilsgründe dem Beschwerdegericht eine Nachprüfung dahin, ob im Zeitpunkt der Geschwindigkeitsüberschreitung, die Gegenstand des Urteils ist, der Bußgeldbescheidwegen der vorangegangenen vom 08.04.2004 bereits in Rechtskraft erwachsen war und als Grundlage für ein Fahrverbot wegen wiederholter Geschwindigkeitsüberschreitung dienen kann, nicht.
Die Erwägungen des Amtsgerichts rechtfertigen weder für sich genommen noch unter Gesamtwürdigung aller Umstände das Absehen von der Verhängung eines danach möglicherweise in Betracht kommenden Fahrverbots von einem Monat gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV wegen einer wiederholten Geschwindigkeitsüberschreitung um mindestens 26 km/h innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der wegen des vorangegangenen Verstoßes ergangenen Entscheidung.
Zwar unterliegt es in erster Linie tatrichterlicher Würdigung, ob Gründe vorliegen, die ausnahmsweise Anlass geben könnten, von der Rechtsfolge des § 25 Abs. 1 StVG i.V.m. den Regelbeispielen der BKatV abzusehen (zu vgl. BGHSt 38, 231, 237; OLG Hamm, NZV 1997, 185). Dem Tatrichter steht aber kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen zu (zu vgl. OLG Hamm, a.a.O.). § 4 BKatV konkretisiert im Sinne der Ermächtigungsnorm des § 26 a Abs. 2 StVG die Anordnungsvoraussetzungen eines Fahrverbots nach § 25 StVG als Regelmaßnahme (zu vgl. BGHSt 38, 125, 132) und gewährleistet damit die Gleichbehandlung des Betroffenen, wodurch auch ein Gebot der Gerechtigkeit erfüllt wird (zu ...