Leitsatz (amtlich)
Auch der Rechtsanwalt, der nur für einen Termin (als Terminsvertreter) beigeordnet wird, rechnet seine gesetzlichen Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG ab.
Verfahrensgang
LG Essen (Entscheidung vom 17.08.2005) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Essen vom 17. August 2005 wird aufgehoben.
Die Pflichtverteidigervergütung wird festgesetzt auf weitere 315,52 EUR.
Die weitergehende Beschwerde und die Anschlussbeschwerde des Vertreters der Staatskasse werden als unbegründet verworfen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Mit Antrag vom 11.02.2005 beantragte der Beschwerdeführer, der für die damalige Angeklagte S. durch Beschluss der Wirtschaftsstrafkammer im Termin am 02.02.2005 zum Pflichtverteidiger für den Termin am 02.02.2005 bestellt worden war, für diesen Termin die Festsetzung einer Pflichtverteidigervergütung. Hierbei hat er folgende Positionen geltend gemacht:
1. |
Grundgebühr VV 4100 |
132,00 EUR |
2. |
Terminsgebühr Strafkammer VV 4114 |
216,00 EUR |
3. |
Zuschlag für die Dauer 5 - 8 Std. VV 4116 |
92,00 EUR |
4. |
Auslagenpauschale VV 7002 |
20,00 EUR |
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Summe |
460,00 EUR |
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USt |
73,60 EUR |
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Betrag |
533,60 EUR |
Diesem Antrag hat der Rechtspfleger durch seinen Festsetzungsbeschluss vom 28. April 2005 lediglich in Höhe von 218,08 EUR entsprochen, weil nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach VV 4301 Ziffer 4 RVG für erstattungsfähig angesehen worden ist.
Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Pflichtverteidigers P. hat das Landgericht durch den angefochtenen Beschluss vom 17.08.2005 zurückgewiesen. Der gegen diesen Beschluss eingelegten Beschwerde des Pflichtverteidigers P. hat das Landgericht durch Beschluss vom 09.11.2005 nicht abgeholfen.
Mit Schreiben vom 23.05.2005 hat der Bezirksrevisor Erinnerung gegen die Festsetzung vom 28.04.2005 insoweit eingelegt, als dem Pflichtverteidiger die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Nr. 7002 VV RVG nebst Mehrwertsteuer zugebilligt worden ist. Über diese Erinnerung hat das Landgericht bislang nicht entschieden.
II.
Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 - 8 RVG zulässige Beschwerde hat weitgehend Erfolg.
Der Beschwerdeführer, der durch Kammerbeschluss vom 02.02.2005 zum Pflichtverteidiger für diesen Tag bestellt worden war, hat die damalige Angeklagte S. in der Hauptverhandlung vor der großen Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Essen verteidigt. Er hat an der auf 09.00 Uhr terminierten, ab 09.15 Uhr beginnenden Hauptverhandlung bis 13.00 Uhr teilgenommen; der zuvor am 27.12.2004 der Angeklagten S. bestellte Pflichtverteidiger Rechtsanwalt T. war um 12.47 Uhr im Gerichtssaal erschienen und hat im Folgenden an dem Hauptverhandlungstermin bis zum Terminsende um 15.30 Uhr teilgenommen. Entpflichtet worden war Rechtsanwalt T. für den 02.02.2005 nicht.
Bei der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Pflichtverteidiger für den 02.02.2005 handelt es sich entgegen der Auffassung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts nicht um eine Einzeltätigkeit i.S.v. Nr. 4301 VV RVG, die nur eine geringere Vergütung als bei einer "Vollverteidigung" rechtfertigt. Zwar ist Rechtsanwalt P. der Angeklagten S. nicht insgesamt in dem Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt worden, sondern lediglich für einen einzelnen Termin, während ihr im Übrigen Rechtsanwalt T. beigeordnet worden war. Dennoch handelt es sich nicht um eine Einzelaufgabe aus dem Arbeitsbereich des Verteidigers, sondern die Tätigkeit des Pflichtverteidigers P. stellte sich als eigenverantwortlich und inhaltlich unbeschränkte Beistandsleistung der Angeklagten dar, die eine gebührenbezogene Herabstufung neben dem im Übrigen bestellten Pflichtverteidiger nicht rechtfertigt. Rechtsanwalt P. war für diesen Verhandlungstag, ohne dass die Beiordnung von Rechtsanwalt T. aufgehoben worden wäre und ohne dass Rechtsanwalt P. als dessen Vertreter bestellt worden wäre, beigeordnet worden.
Der Gebührenrahmen des RVG Nr. 4301 wird dieser Art der Tätigkeit nicht gerecht.
Soweit für die gegenteilige Auffassung auf den Gesetzeswortlaut verwiesen wird, überzeugt dieses Argument nicht, da der Gesetzeswortlaut den hier gegebenen Fall nach Auffassung des Senates nicht umfasst. Nach VV 4301 Ziffer 4 fällt die Verfahrensgebühr für Beistandsleistungen für den Beschuldigten bei einer richterlichen Vernehmung, einer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft oder eine Verfolgungsbehörde oder in einer Hauptverhandlung ... an. Vorliegend handelte es sich nicht lediglich um eine Beistandsleistung des Beschuldigten bei einer Vernehmung in einer Hauptverhandlung, sondern es handelte sich um die insgesamte Verteidigung der Angeklagten in einem Hauptverhandlungstermin. Die Tätigkeit des Verteidigers ging mithin über die in VV 4301 Ziffer 4 genannten Fälle deutlich hinaus. Die in der Kommentarliteratur (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl. 2005, Randziffer 9) erwähnten Beispiele betreffen ebenfalls Fälle, in denen es nich...