Entscheidungsstichwort (Thema)
gerichtliche Entscheidung. Entbehrlichkeit. Rücklieferung. Verfolgter. Vollstreckung
Leitsatz (amtlich)
Zur Entbehrlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung nach § 71 Abs. 4 IRG bei Rücklieferung des Verfolgten zur Vollstreckung nach § 68 IRG
Normenkette
IRG §§ 68, 71 Abs. 4; ÜAG § 2
Tenor
Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Hamm wird als unstatthaft verworfen.
Gründe
I.
Der Verurteilte ist polnischer Staatsangehöriger.
Er war am 9. November 2011 auf deutsches Ersuchen (Europäischer Haftbefehl der StA Bielefeld vom 8. Juni 2012 - 6 Ar 18/11) von der Republik Polen an die Bundesrepublik Deuschland zur Strafverfolgung ausgeliefert worden. Gemäß Art. 607t § 1 der polnischen Strafprozessordnung (und in Übereinstimmung mit Art. 5 Nr. 3 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl) hatten die polnischen Behörden die Auslieferung unter die Bedingung gestellt, dass der Verurteilte, wenn er in dem deutschen Strafverfahren rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden sollte, zur Vollstreckung dieser Strafe nach Polen rücküberstellt werde. Ein solche Rücküberstellung hatte der Leitende Oberstaatsanwalt in Bielefeld den polnischen Behörden bzw. dem zuständigen polnischen Gericht mit Verfügung vom 4. Oktober 2011 zugesichert.
Der Verurteilte ist in dem Strafverfahren, zu dessen Durchführung er ausgeliefert worden war, durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 5. Juli 2012 (71 Kls 6 Js 63/11- 2/12) rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden.
Diese Verurteilung hat jedenfalls bisher nicht zur Verhängung von ausländerrechtlichen Beschränkungen des Aufenthalts bzw. der Einreise gegen den Verurteilten geführt.
Der Verurteilte ist zu seiner beabsichtigten Rücklieferung nach Polen zur (weiteren) Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe richterlich angehört worden und hat seine Zustimmung verweigert.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat daraufhin mit Zuschrift vom 14. Mai 2013 beantragt, die weitere Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 5. Juli 2012 verhängten Freiheitsstrafe in Polen für zulässig zu erklären. Sie ist der Ansicht, dass zum einen eine gerichtliche Entscheidung nach § 71 Abs. 4 IRG über die Zulässigkeit der Rücklieferung erforderlich und zum anderen die Zustimmung des Verurteilten zur Rücklieferung im Hinblick auf dessen nur vorläufige und bedingte Auslieferung aus Polen nach Deutschland entbehrlich sei.
II.
Der Antrag war als unstatthaft zu verwerfen. Der Senat ist zu einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Rücklieferung des Verurteilten nach Polen nicht berufen.
1.
Eine gerichtliche Entscheidung ist nicht unmittelbar gemäß § 71 Abs. 4 IRG gefordert.
Denn für Fälle der Rück-Überstellung eines in Deutschland verurteilten Straftäters zur Vollstreckung dieser Strafe an denjenigen ausländischen Staat, der den Verurteilten zuvor zur Strafverfolgung an Deutschland unter der Bedingung der Rück-Überstellung ausgeliefert hatte, enthält das IRG mit § 68 eine Spezialregelung. Danach ist die sog. Rücklieferung an keine besonderen Voraussetzungen, insbesondere nicht an eine der Exekutiventscheidung vorgeschaltete gerichtliche Zulässigerklärung geknüpft. Vielmehr hat nach § 68 IRG die an dem inländischen Strafverfahren beteiligte Staatsanwaltschaft eine Entscheidung über die Rücklieferung des Verurteilten zu treffen, wobei § 68 IRG eine Zustimmung des Verurteilten zur Rücklieferung nicht vorschreibt.
2.
Eine gerichtliche Entscheidung ist hier aber auch nicht gemäß § 2 Abs. 2 Überstellungsausführungsgesetz (ÜAG) in Verbindung mit § 71 Abs. 4 IRG veranlasst.
Denn § 2 Abs. 2 ÜAG schreibt die Anwendung des § 71 Abs. 4 IRG nur für die in Art. 3 des Zusatzprotokolls vom 18. Dezember 1997 zu dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (ZP-ÜberstÜbk) geregelte Konstellation vor, also wenn der Verurteilte der Ausweisung oder Abschiebung unterliegt. Das ist vorliegend - jedenfalls bislang - nicht der Fall.
3.
Andere Normen, die zu der beantragten gerichtlichen Entscheidung ermächtigen würden, sind weder unmittelbar noch in entsprechender Anwendung gegeben. Insbesondere kommt es schon deshalb nicht in Betracht, im Wege einer Analogie eine nach dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 (ÜberstÜbk) etwa erforderliche Zustimmung des Verurteilten zur Überstellung durch eine Gerichtsentscheidung zu ersetzen, weil dem ÜberstÜbk und dem ZP-ÜberstÜbk eine solche Ersetzung fremd ist. Nach dem ÜberstÜbk und dem ZP-ÜberstÜbk ist eine Zustimmung des Verurteilten entweder erforderlich oder nicht erforderlich; eine Befugnis zur Ersetzung einer eigentlich erforderlichen Zustimmung durch einen nationalen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheid gibt es nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 4206254 |
NStZ 2013, 603 |