Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufschluss zwischen 05:45 Uhr und 06:00 Uhr. Nachtruhe. Vitalitätskontrolle. Lebendkontrolle. vollzugsspezifische Auslegung Gesundheitsfürsorge. Organisationsermessen. gerichtlicher Überprüfungsmaßstab bei Ermessensentscheidungen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Vollzugsanstalt obliegt nach § 44 Abs. 1 S. 1 SVVollzG NRW die Gesundheitsfürsorge, wozu die tägliche Vitalitätskontrolle als notwendige Maßnahme zum Gesundheitssachutz gehört.
2. Zu welchem Zeitpunkt die Anstalt die Lebendkontrolle durchführt, obliegt der Organisationshoheit der Anstalt.
3. Ermessensentscheidungen der Anstalt im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG sind gerichtlich nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar. Soweit die Anstalt befugt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 115 Abs. 5 StVollzG lediglich, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Die Strafvollstreckungskammer darf dabei nicht ihr eigenes Ermessen bzw. ihre eigene Beurteilung an die Stelle des Ermessesnder Vollzugsbehörde setzen.
4. Die Nachtruhe i.S.d. § 19 Abs. 1 SVVollzG ist vollzugsspezifisch zu begreifen und schließt nicht per se jede Form der Nachtruhestörung von vorneherein aus: Soweit die tägliche Lebendkontrolle während der Nachtruhe erfolgt, muss die Anstalt die Interessen der Sicherungsverwahten (hier: ungestörter Schlaf) vor dem Hintergrund etwaiger Belange der Sicherheit und Ordnung im Ramhen der Vollzugsorganisation und dem Scheriehtsinteresse der Allgemeinheit abwägen.
Normenkette
SVVollzG NRW § 19 Abs. 2 S. 1; SVVollzG NRW § 44 Abs. 1; StVollzG § 115 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Aktenzeichen IV-2 StVK 243/23) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, soweit der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Störung der Nachtruhe durch Durchführung der Vitalitätskontrolle zwischen 5.45 Uhr und 6.00 Uhr zurückgewiesen wurde.
Im Umfang der Zulassung wird der angefochtene Beschluss auf die Rechtsbeschwerde aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die (gesamten) Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer für Vollzugssachen des Landgerichts Arnsberg zurückverwiesen.
Im Übrigen (Feststellung der Rechtswidrigkeit der Störung der Nachtruhe durch das Öffnen der Zimmertür zwischen 5.45 Uhr und 6.00 Uhr) wird die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 3 StVollzG).
Gründe
I.
Der Betroffene befindet sich im Vollzug der Sicherungsverwahrung in der JVA A.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg den Antrag des Betroffenen vom 23. Januar 2023 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Aufschlusses seines Zimmers am selben Tag einschließlich der damit verbundenen Anwesenheits- und Vitalitätskontrolle deutlich vor 6.00 Uhr als unbegründet verworfen, weil die entsprechende Vorgehensweise der JVA A nicht zu beanstanden sei. Im Einzelnen hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, dass zunächst unter Berufung auf die Hausordnung und den der JVA insoweit zuzubilligenden Beurteilungsspielraum die Festlegung des Endes der Nachtruhe auf 6.00 Uhr ermessensfehlerfrei erfolgt sei. Weiter sei die Ausgestaltung des morgendlichen Aufschlusses durch die JVA ab 5.45 Uhr nicht zu beanstanden. Diese ziele nach Angaben der JVA darauf ab, dass ab 6.00 Uhr alle Sicherungsverwahrten ihre Zimmer verlassen könnten. Insoweit liege es auf der Hand, dass der Aufschluss rein organisatorisch bei 138 Sicherungsverwahrten nicht gleichzeitig erfolgen könne. Ebenso sei es unter Berücksichtigung der - nur eingeschränkt gerichtlich zu überprüfenden - Organisationshoheit der JVA nicht zu beanstanden, dass der morgendliche Aufschluss mit einer Anwesenheits- und Lebendkontrolle verbunden werde. Nach Auffassung der Kammer werde dem Betroffenen bei einem Einschluss ab 21.30 Uhr eine hinreichende Nachtruhezeit von acht Stunden gewährt, sodass eine Vitalitätskontrolle auch vor 6.00 Uhr erfolgen könne. Auf eine bestimmte, vom Betroffenen bevorzugte Art und Weise der Durchführung der Vitalitätskontrolle bestehe aufgrund des Organisationsermessens der Vollzugsanstalt kein Anspruch. Im Übrigen könne der Untergebrachte im Anschluss an die Lebendkontrolle weiterschlafen, so dass diese Kontrolle keinen erheblichen Eingriff in den eigenverantwortlichen und freiheitsorientierten Tagesablauf darstelle.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner am 22. August 2023 frist- und formgerecht erklärten Rechtsbeschwerde und rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere behauptet er eine ...