Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an eine Einigung im Sinne des VV-RVG 1000, 1003; Abgrenzung zum einseitigen Verzicht
Normenkette
RVG § 56; RVG § RVG-VV Nr. 1000; RVG-VV Nr. 1003; RVGBGB § 1671
Verfahrensgang
AG Gelsenkirchen (Beschluss vom 30.03.2016; Aktenzeichen 101 F 170/15) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 07.04.2016 wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Gelsenkirchen vom 30.03.2016 (101 F 170/15) dahin abgeändert, dass die dem Antragsteller aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 901,07 EUR festgesetzt werden.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der Antragsteller wurde dem Kindesvater im Rahmen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe als Rechtsanwalt in einem Sorgerechtsverfahren beigeordnet. Die Kindesmutter hatte einen Antrag gestellt, ihr das alleinige Sorgerecht für das gemeinsame Kind M zu übertragen. Der Antragsteller beantragte schriftsätzlich für den Kindesvater, den Antrag der Kindesmutter zurückzuweisen. Mit Bericht vom 25.01.2016 regte das Jugendamt an, das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge, das Recht zur Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB und die Sorge in schulischen Angelegenheiten auf die Kindesmutter zu übertragen. In der mündlichen Verhandlung vor dem AG am 10.02.2016 erörterten die Kindeseltern unter Mitwirkung ihrer jeweiligen Verfahrensbevollmächtigten und die Vertreterin des Jugendamtes die Möglichkeit, einzelne Teilbereiche des Sorgerechts auf die Kindesmutter zur alleinigen Ausübung zu übertragen. Der Antragsteller erklärte für den Kindesvater dessen Einverständnis hinsichtlich der Teilbereiche Gesundheitsfürsorge, Antragstellung nach dem SGB und schulische Angelegenheiten, widersprach aber einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter zur alleinigen Ausübung. Nach weiteren Erörterungen verpflichteten sich die Kindeseltern, sich mit der Vertreterin des Jugendamtes in Verbindung zu setzen, um eine Umgangsregelung für das Kind zu erarbeiten. Sie erklärten außerdem ihr Einvernehmen, dass Teilbereiche des elterlichen Sorgerechts entsprechend der Anregung im Bericht des Jugendamtes vom 25.01.2016 auf die Kindesmutter zur alleinigen Ausübung übertragen werden sollten. Die Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter erklärte abschließend, dass eine vollständige Übertragung des gesamten Sorgerechtes zumindest derzeit nicht weiter verfolgt werde. Durch Beschluss vom 16.02.2016 übertrug das AG das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge, das Recht zur Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB sowie den Bereich der schulischen Angelegenheiten auf die Kindesmutter zur alleinigen Ausübung und verwies in der Begründung seiner Entscheidung auf § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB.
Unter dem 12.02.2016 hat der Antragsteller beantragt, seine Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt auf 901,07 EUR festzusetzen. Ausgehend von einem Verfahrenswert von 3.000,00 EUR hat er eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG, eine 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV-RVG sowie eine 1,0 Einigungsgebühr nach Nr. 1000, 1003 VV-RVG zuzüglich einer Pauschale für Post-und Telekommunikationsdienstleistungen, Fahrtkosten, einem Abwesenheitsgeld sowie der gesetzlichen Umsatzsteuer angesetzt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat durch Entscheidung vom 26.02.2016 die Vergütung auf 661,88 EUR festgesetzt. Die geltend gemachte Einigungsgebühr ist mit der Begründung abgesetzt worden, dass die Kindeseltern keinen Vergleich geschlossen hätten, sondern die Kindesmutter lediglich auf die Übertragung des gesamten Sorgerechts verzichtet habe. Der hiergegen gerichteten Erinnerung des Antragstellers vom 15.03.2016 hat das AG durch Beschluss vom 30.03.2016 "nicht abgeholfen". Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 07.04.2016.
II. Die gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde hat Erfolg. Zu Gunsten der Beteiligten ist antragsgemäß ein Betrag von 901,07 EUR festzusetzen. Entgegen der Auffassung des AG ist eine Einigungsgebühr entstanden.
Gemäß Nr. 1000 Abs. 1, 1003 VV-RVG entsteht die Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht.
Der Vertrag kann grundsätzlich auch stillschweigend geschlossen werden und ist nicht formbedürftig, sofern dies materiell-rechtlich nicht besonders vorgeschrieben ist (BGH NJW 2007, 2187). Die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV soll die frühere Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO ersetzen und gleichzeitig inhaltlich erweitern. Während die Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO durch Verweisung auf § 779 BGB ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzte, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honorieren und dadurch einen Anreiz schaffen,...