Entscheidungsstichwort (Thema)

Bußgeldbescheid. formelle Anforderungen. Nebenbeteiligte. Verfahrensgrundlage. Verjährung. Zwischenprüfung. Hauptprüfung. Fahrstuhl. prozessualer Tatbegriff. Wartungsvertrag. Bestellung Fachkraft für Arbeitssicherheit

 

Leitsatz (amtlich)

1) Zu den formellen Anforderungen an den Inhalt eines Bußgeldbescheides im selbständigen Verfahren gegen eine Nebenbeteiligte und den Auswirkungen diesbezüglicher Mängel auf die Wirksamkeit des Bußgeldbescheides als Verfahrensgrundlage (hier insbesondere Bezeichnung der Nebenbeteiligten, Angabe der Tatzeit und der handelnden Person).

2) Bei der nicht rechtzeitigen Vornahme von Zwischen- und Hauptprüfung eines Fahrstuhls nach § 16 Abs. 1 BetrSichV i.V.m. Anhang II Abschnitt 2 Nr. 4.1 und 4.3 handelt es sich um selbständige prozessuale Taten im Sinne von § 264 StPO.

3) Die Verjährung für die nicht rechtzeitige Vornahme der Hauptprüfung beginnt als Dauerordnungswidrigkeit grundsätzlich mit der Beendigung des ordnungswidrigen Zustandes zu laufen, während die Verjährung für die nicht rechtzeitige Vornahme der Zwischenprüfung spätestens mit Fälligkeit der Hauptprüfung beginnt.

4) Die Verpflichtung zur Vornahme von Zwischen- und Hauptprüfung eines Fahrstuhls wird weder durch den Abschluss eines Wartungsvertrags mit der Herstellerfirma noch durch Bestellung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit nach § 6 ASiG wirksam delegiert.

 

Normenkette

BetrSichV § 16 Abs. 1, § 22 Abs. 2 Nr. 7; ProdSG § 39 Abs. 1 Nr. 7a; ASiG § 6; OWiG § 9 Abs. 1 Nr. 1, §§ 20, 30 Abs. 1, 4, § 31 Abs. 2 Nr. 1, § 66 Abs. 1, § 79 Abs. 3 S. 1, Abs. 6, § 88 Abs. 2 S. 1; StPO §§ 264, 353

 

Verfahrensgang

AG Arnsberg (Aktenzeichen 9 OWi - 150 Js 831/20 - 207/20)

 

Tenor

Die Sache wird auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden übertragen (Alleinentscheidung des mitunterzeichnenden Einzelrichters).

Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Nebenbeteiligten mit Bußgeldbescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 18.11.2019 die unterlassene Vornahme der Zwischenprüfung einer Aufzugsanlage vorgeworfen wird.

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Arnsberg zurückverwiesen.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 28.06.2019 setzte die Bezirksregierung Arnsberg zunächst gegen den Geschäftsführer der Nebenbeteiligten, Herr C. H., wegen fahrlässiger nicht rechtzeitiger Zwischenprüfung einer Aufzugsanlage ein Bußgeld in Höhe von 1.700 € sowie wegen fahrlässiger nicht rechtzeitiger Zwischenprüfung einer Aufzugsanlage ein Bußgeld 3.400 € fest. Nachdem dieser sich im Einspruchsverfahren dahingehend eingelassen hatte, dass der verstorbene weitere Geschäftsführer Herr X. H. für die Aufzugsanlage zuständig gewesen sei, stellte die Bezirksregierung Arnsberg mit Verfügung vom 04.11.2019 das Verfahren gegen beide Geschäftsführer ein und leitete ein selbständiges Verfahren nach § 30 Abs. 4 OWiG gegen die Nebenbeteiligte ein. Mit Bußgeldbescheid vom 18.11.2019 legte sie sodann der Nebenbeteiligten, welche im weiteren Verfahrensgang stets als Betroffene bezeichnet wurde, zur Last, dass diese die von ihr betriebene Aufzugsanlage seit der Inbetriebnahme der Anlage im Jahr 2008 bis Oktober 2017 bzw. 2018 keiner Zwischen- und Hauptprüfung unterzogen habe. Zugleich setzte sie wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 16 Abs. 1 BetrSichV eine (Verbands-) Gesamtgeldbuße in Höhe von 2.000 € fest.

Auf den fristgerechten Einspruch verurteilte das Amtsgericht Arnsberg die Nebenbeteiligte am 13.11.2020 wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 16 Abs. 1 BetrSichV und setzte eine Geldbuße in Höhe von 2.000 € fest. Zur Begründung führte das Amtsgericht insbesondere aus, dass die Nebenbeteiligte die Aufzugsanlage zwar seit der Inbetriebnahme im Jahr 2008 zweimal jährlich habe warten lassen und zudem eine Sicherheitsfachkraft nach § 5 ASiG bestellt habe. Der verstorbene Geschäftsführer X. H. habe indes mangels Kenntnis von der Überprüfungspflicht nicht sichergestellt, dass die wiederkehrenden Haupt- und Zwischenprüfungsfristen durchgeführt werden. Hierdurch habe er gegen die Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG verstoßen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Nebenbeteiligte mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit welcher sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Insbesondere beanstandet sie die unterlassene Übersendung des Hauptverhandlungsprotokolls und die fehlerhafte Würdigung der Aufsichtspflichtverletzung. Durch den Wartungsvertrag und die Bestellung der Sicherheitsfachkraft sei ihr verstorbener Geschäftsführer der Aufsichtspflicht nachgekommen. Dieser habe darauf vertrauen dürfen, dass er auf die erforderliche Zwischenprüfung und Hauptprüfung aufmerksam gemacht werde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil unter Verwerfung der weitergehenden R...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge