Leitsatz (amtlich)
Zur Beweiswürdigung bei einer Nachtrunkbehauptung
Verfahrensgang
AG Recklinghausen (Entscheidung vom 29.07.2002) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen "wegen fahrlässigen Fahrens unter Alkoholeinfluss zu einer Geldbuße von 500 EURO verurteilt" und außerdem ein Fahrverbot von drei Monaten gegen den Betroffenen festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die formelle und die materielle Rüge erhoben wird. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene am 7. Dezember 2001 gegen 2. 10 Uhr in Herten mit seinem Kleinkraftrad die Klausenburger Straße und die Stefan-Ludwig-Roth-Str. befahren hat. Die ihm um 4. 29 Uhr entnommene Blutprobe ergab 0, 93 o/oo Blutalkoholgehalt.
Der Betroffene hat sich dahin eingelassen, er habe, nachdem er gegen 1. 00 Uhr von einer Probefahrt mit seinem Kleinkraftrad zurückgekommen sei, befürchtet, überfallen zu werden. Er sei dann in sein Haus geflüchtet und habe dort auf den Schrecken eine noch halb gefüllte Flasche Malteser geleert. Danach habe er einen Spaziergang unternommen und sei gegen 4. 00 Uhr nach Hause zurückgekommen. Dann sei er von den Polizeibeamten festgenommen worden. Er habe mit seinem Kleinkraftrad keine Fahrt unter Alkoholeinfluss begangen. Das Amtsgericht hat diese Einlassung als widerlegt angesehen.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.
1.
Die formelle Rüge ist unzulässig. Sie ist nicht näher ausgeführt und entspricht daher nicht den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
2.
Die materielle Rüge ist indes begründet. Die tatrichterlichen Feststellungen sind lückenhaft (§ 267 StPO).
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:
"Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt und frist- und im Ergebnis formgerecht begründet worden. Sie hat mit der allgemeinen Sachrüge - zumindest vorläufig - Erfolg.
Die Urteilsgründe tragen nicht den Schuldspruch wegen fahrlässigen Fahrens unter Alkoholeinfluss. Zwar ist dem Rechtsbeschwerdegericht eine Prüfung verwehrt, ob die Erwägungen und Schlüsse des Tatrichters zwingend oder überzeugend sind, sie müssen aber denkgesetzlich möglich sein, von der subjektiven Gewissheit des Tatrichters getragen werden und dürfen weder gegen Denkgesetze oder gegen allgemein gültige Erfahrungssätze verstoßen noch Lücken oder Unklarheiten in wesentlichen Punkten enthalten (BGHSt 10, 208 ff, 210; 26, 56 ff). Diesem Prüfungsmaßstab genügt die Beweiswürdigung des Amtsgerichts nicht.
Die Erwägung, aus der fernliegenden und widersprüchlichen Einlassung des Betroffenen zu der Frage, warum er gegen 02. 10 Uhr vor den Polizeibeamten Sch. und Sz. geflüchtet sei, ergebe sich, dass der Betroffene bereits zu diesem Zeitpunkt Alkohol getrunken hatte und sich deswegen aus Angst vor Sanktionen der Polizeikontrolle entziehen wollte, ist - wenngleich nicht zwingend - denkgesetzlich möglich, sogar naheliegend und insofern nicht zu beanstanden.
Indessen sind die Urteilsgründe lückenhaft, soweit das Amtsgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen den Schluss zieht, die dem Betroffenen, der erst gegen 04. 00 Uhr durch Polizeibeamte ergriffen werden konnte, um 04. 29 Uhr entnommene Blutprobe belege, dass der Betroffene bereits um 02. 10 Uhr mit mehr als 0, 5 o/oo Alkohol im Blut oder einer zu einer solchen Blutalkoholkonzentration führenden Alkoholmenge im Körper mit einem Kleinkraftrad öffentliche Straßen befahren habe. Die Urteilsgründe lassen eine Auseinandersetzung damit vermissen, dass einerseits der Betroffene nach Beendigung der Fahrt und vor seiner Ergreifung durch Polizeibeamte ca. 1 Stunde und 50 Minuten unbeaufsichtigt war, andererseits der Betroffene einen erheblichen Nachtrunk, zu welchem er zeitlich durchaus in der Lage gewesen wäre, behauptet hat.
Wenngleich zur sicheren Überzeugung des Amtsgerichts die Einlassung des Betroffenen zu dem Anlass des Nachtrunks widerlegt ist, hätte es weiterer Ausführungen dazu bedurft, ob und aus welchem Grunde das Amtsgericht auch die Einlassung des Nachtrunks an sich für widerlegt hält bzw. warum der behauptete Nachtrunk für die Frage der Höhe der Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt nicht von Bedeutung ist. Dass tatsächlich ein erheblicher Nachtrunk stattgefunden hat, erscheint jedenfalls keineswegs fernliegend. Denkbar ist insoweit, dass der Betroffene entweder "auf den großen Schreck" über die Polizeikontrolle oder ganz bewusst, um für den Fall seiner alsbaldigen Ergreifung eine sichere Blutalkoholbestimmung für den Tatzeitpunkt zu vereiteln, erhebliche Mengen Alkohol in kurzer Zeit getrun...